Drittes Buch.
I. Abthei1ung.
Erfker Abfc11nitt.
Teppich, Pelzbesatz am Kleide, Schmuck und Blumen, der Holilspicgcl, rechts
das Glasbild mit St. Martin und darunter der Blick in das Freie find wieder
trefflich behandelt. Als einen Meister im Bildniss zeigt Memlinc sich in dem
schlichten, von Andacht durchdrungenen Kopfe des Donators CFig. I517.
srui22. Die Krone unter Memlinc7s Schöpfungen ist endlich der Schrein der heis
Wniligen Ursula, ein Reliquienkasten in Gestalt eines gotl1ischen Kirchleins mit
zwei Giebelseiten und einem Satteldach, an XxVänden und Dach mit Malereien
von Memlinc geschmückt, die hier also Goldschmiedsarbeit und Email ersetzen,
aber auch alles, was diese hätten leisten können, überstrahlen. Am 24. October
I489 wurden die Reliquien durch den Bischof von Tournay hier deponirt, was
also den Termin der Vollendung ungefähr feststellt. Die beiden Giebelseiten
enthalten die heilige Ursula mit ihren zehn Gefährtinnen, die sie unter ihrem
Mantel sammelt, und die stehende Madonna, vor der zwei Klostersrauen als
Stifterinnen knieen. Sechs halbkreisför1nig scliliessende Bilder an den Langs
seiten erzählen die Legende: Urfulas Ankunft in Köln auf ihrer Pilgersahrt,
ihre Landung in Basel, ihre Begrüfsung durch Papst Cyriacus in Rom, die
Wiedereinschifsung in Basel, bei welcher der Bischof Pantalus und der Papst
sich zu den Jungfrauen gesellt haben, die Ankunft vor Köln, wo der Tod aus
den Händen der heidnischen Krieger sie erwartet. Die fechs Medaill0ns auf
dem Dache, nochmals.die Heilige mit den Ihrigen, ihre Krönung und Halbs
figuren musicirender Engel, find wohl nur Schülerarbeit.
Mit der stillen Würde der repräsentirenden Darstellung wetteifert hier die
Anmuth der erzählenden Bilder, so gleich des ersten, auf welchem liebliche
Mädchen die Heilige, die stets inodisch in ein enganfchliessendes blaues Kleid
und einen Purpurniantel mit Hermelin gekleidet ist und sich als echte Prinzessii1
benimmt, am Gestade zu Köln begriissen, während Knechte bereits ihre Koffer
an das Land schleppen. Ist hier und auf den letzten zwei Feldern die Ansicht
von Köln genau nach der Wirklichkeit gemalt, so sind dagegen Basel und Rom
nur Phantasiebilder. Die Scene in Rom ist vielleicht die lcöstlichste von allen
sFig. I52J. Auch da, wo Ursu1a vor dein Statthalter Christi kniet, ist sie vors
nehm bei aller Demutli; an den lieblichen Mädchen hinter ihr, den trefflichen
Priesterköpsen kann man sich nicht satt sehen. Von der offenen Kirchenhallse
blickt man eine tiefe Strassenperspective bis zum Stadtthor mit allerlei lZils
gern und mit Neugierigen in den Hausthüren entlang. Zarter Fleischton, fars
benreiche, goldgestickte Gewänder, eine Fülle zart abgestuster Töne glitzern
ineinander und vereinigen sich zu voller Harmonie. Als nun Memlinc auf den
letzten beiden Feldern den Schmerz und die Schrecken des Todes zu schildern
hatte, war er freilich in den Bewegungen nicht ungebunden genug; häufig
verbarg er die Köpfe der Mörder, um nicht Grausamkeit und Verworfenheit
schildern zu müssen, die ausserhalb seiner Sphäre liegen, aber echte tragische
Erhebung spricht aus Geberde und Antlitz der Heiligen, die, ergeben in
Gottes VVillen, den Pfeil erwartet, und Theilnahme ergreift selbst die Gegner,
so den Ritter ihr zunächst, in dessen Stahlrüstung die ganze Umgebung sich
spiegelt. Etwas Steises und Ecliiges ist selbst im bewegten Handlungsbilde
selten zu bemerken, und spielen manche Vorgänge sich vielleicht zu still nnd
gemessen ab, so erscheint das doch meist wie eine bewusste Mässigung. selbst
die Leidenschaft wird durch Sitte gebändigt.