Volltext: Die Malerei der Renaissance (Bd. 2)

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Viertes Buch. 
Abt11ei1ung. 
herabgeschlagen; Raphael liess nur die nackten Engel stehen, welche im 
Scheitel des Gewölbes das Papstwappen umgeben. Alles übrige schuf er neu 
aus einem Gusse; und er schuf eine Gesammtdekoration, die an edlem Liniens 
fiuss in den Figurenbildern, an feinen Motiven in den ornamentalen Details, 
an stiller, satter Farbenharmonie des Ganzen ihres gleichen sucht.  Aber 
man vergisst die dekorative Harmonie über der tiessinnigen Gedankeneinheit 
Ihrs 1d8ss des Inhalts der Darstellungen und über der Vollendung, mit der jedes einzelne 
Bild durchgeführt ist. Niemals vorher und nachher ist ein Raum von Malers 
hand mit solcher Vereinigung aller höchsten Erfordernisse der monumentalen 
Kunst ausgeschmückt worden, wie dieser. Wir müssen annehmen, dass Raphael 
den Gedankeninhalt des Ganzen durch humanistische Gelehrte des päpstlicheii 
Hofes empfangen habe; jedenfalls aber sind die Kompositionen und ihre Auss 
führung ganz sein Eigenthum; und die zahlreichen, in verschiedenen Samms 
lungen erhaltenen Zeichnungen, welche die Gemälde dieses Zimmers auf vers 
schiedenen Entwicklungsstusen zeigen, beweisen, dass der junge Meister sich 
keineswegs mühelos, sondern nur durch unablässige Einzelstudien nach der 
Natur und stets wiederholte Kompositionsversuche zu der Vollendung aufs 
schwang, die er in diesen Gemälden erreicht hat. Der leitende Gedanke war, 
die vier grossen Geistesmächte, welche das Leben des humanistischen päpsts 
lichen Hofes jener Tage beherrschten, die Religion, die freie Forschung, das 
Recht und die Schönheit, oder sagen wir Kirche, Wissenschaft, staat und Kunst 
in malerischen Darstellungen zu verkörpern. Die diesen Mächten entsprechenden 
personisizirten Begriffe Theologie, Philosophie, JurisprudenZ und Poesie heben 
sich als hehre Frauengestalten, von Kindergenien mit Inschrifttafeln begleitet, 
von dem mosaicirten Goldgrunde der runden Medaillons in den vier Gewölbes 
kappen ab. Jeder dieser Gestalten entspricht die historische scene in einem 
der ihr zunächst gelegenen Eckzwickel. Die vier VVandHächen aber enthalten 
die grossartigen Darstellungen der als geistige Gemeinden versammelten histos 
rischen oder sagenhaften Persönlichkeiten, welche als die Vertreter jener 
Mächte gelten. 
TheZ;;ie. I. Die Theologie. Die mit dem 0elkranz über wallei1dem Schleier ges 
DsslZ1Fkevs schmückte hehre Frauengestalt im Deckenmedaillon, welche die Theologie vers 
körpert, hält in ihrer Linken das Evangelium, mit ihrer Rechten deutet sie 
zwj3:lsWd zum Hauptbild hinab. Das historische Zwickelbild stellt den Sündenfall, welcher 
 die Erlösung durch die Religion nothwendig gemacht, in reinster, reifster Fors 
D2;iY;ssd. menschönheit dar. Die Hauptdarstellung, welche unter dem Namen der yDiss 
DieDisi:uk5.. putäkc CFig. 372J CDisputation über7s SakramentJ bekannt ist, zeigt oben auf 
Wolken die Träger der himmlischen Herrlichkeit, unten auf der Erde eine 
stattliche Versammlung von Vertretern der Kirche und einzelnen Laien, Lehs 
renden und Lernenden. Grössere, angekleidete und kleinere, nackte Engel und 
geslügelte Kinderköpfe füllen den Grund des goldlichtduftigen Himmelsraumes, 
in dessen Mitte Christus auf dem Wolkenthrone sitzt und die Hände mit den 
Nägelmalen erhebt; über ihm Gottvater mit der XVeltkugel, unter ihm die 
Taube des heil. Geistes, zu seiner Rechten seine Mutter Maria, die sich anbetend 
gegen ihn neigt, zu seiner Linken Johannes, der auf ihn weist, etwas weiter unten 
aber in herrlichem, nach innen vertieftem Halbkreis zwölf erlesei1e Helden des 
alten und des neuen Bundes; Petrus und Paulus einander gegenüber, Johannes
	        
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