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VierteS Buch.
Äbthei1ung.
griffenen und packend grofsartigen Zügen; und realistifch ist der schöne, schlichte
Raum behandelt von den Fenstern feiner Schmalfeite im Hintergrunde, durch
welche man in eine hel1eBerglandfchaft hinausblickt, bis zu dem in freiesterSt0ffs
lichkeit ausgearbeiteten Tafeltuche, welches den Vordergrund beherrfcht. 1ns
dessen lassen die realistifchen Züge des Bildes fich von den idealiftischen, eben
sweil beide aufs innigste verschmolzen sind, nicht trennen. Genau genommen,
ist jeder Zug ideal und real zugleich. Auch hier ist das alte Geheimnifs der
Poesie offenbart, das, was ausgedrückt werden soll, zugleich so treffend, deuts
lich, natürlich und einfach wie möglich und doch im schönsten Zufammens
klang von Reim und Rhythmus zu sagen. Vor allen Dingen gilt das von der
ergreifenden dramatischen Lebendigkeit, mit der Leonardo in feinem Abends
mahl den dargestellten Augenblick durch die Gruppenbildung, durch die Bes
wegung jeder einzelnen Gestalt und durch den fprechenden Ausdruck jedes
Kopfes charakterisirt hat. Goethe hat es Unübertrefflich gesagt: DDas Aufs
regungsmittel, wodurch der Künftler die ruhig heilige Abendtafel erschüttert,
find die Worte des Meisters: Einer ist unter euch, der mich verräth. AuSges
fprochen sind sie, die ganze Gesellschaft kommt darüber in Unruhe; er aber
neigt fein Haupt, gesenkten Blickes; die ganze Stellung, die Bewegung der
Arme, die Hände, alles wiederholt mit himmlifcher Ergebenheit die unglücks
lichen Worte, das Schweigen selbst bekräftigt: Ja es ist nicht andersl Einer
ist unter euch, der mich verräth.ce Von mächtigster Wirkung ist gerade der
Gegensatz diefer ruhigen Haltung des Heilandes zu dem unter den Apofteln
durch fein Wort hervorgerufenen Entsetzen, das fich in jedem Kopfe, in jeder
Gestalt anders wiederfpiege1t, während Judas den Geldbeutel krampfhaft fests
hält und nur mit dem gelinderen, aber nicht minder peinlichen Staunen des
bösen Gewissens unwillkürlich feinen Herrn anblickt, den er verrathen. Hätte
die Kunstgefchichte viele Werke von so allfeitiger Vollendung zu verzeichnen,
wie dieses, so wäre ein Widerstreit tlieoretifcher Meinungen in der Kunstwisfens
fchaft kaum möglich.
Die nächften fechzehn Jahre nach dem Sturze Ludovico il Moro,s waren
rei:e;ZZ9. unruhige, vielbewegte Jahre in Leonardols Leben. Abwechselnd war er für
die verschiedensten Fürsten thätig, abwechfelnd tauchte er in den verschiedens
sten Städten 0bers und Mittelitaliens auf. Im Jahre I 500 finden wir ihn in
Venedig; 1502 bereiste er als Kriegsingenieur Cefare Borgia7s die Romagna.
Auch in Rom ist er wahrscheinlich um diefe Zeit zum ersten Male gewefen.
In Florenz finden wir ihn 1503 wieder; und bis 15o6 betrachtete er feine
Vaterstadt als feinen Wohnsitz. Dann kehrte er nach Mailand zurück. Durch
die Vermittlung des Marfchalls von Chaumont, des statthalters König Luds
i.e9x1mioim wig7s X1I. in Mailand, trat er I507 in den Dienst des vallerchristlichen Königsxk;
kgJFYkEcZTZ und von jetzt an blieb die Lombardei, ja, wenn man will, Frankreich, feine
Könige. Heimat. Doch kehrte er noch oft auf kürzere Zeit nach Florenz zurück und
verweilte I514 sogar eine Zeitlang in Rom am Hofe Leo7s X.; I5I6 endlich
folgte er Franz I. nach Frankreich, von wo er nicht wieder nach Italien zus
rückkehrte.
veikHMLcss Von den Gemälden dieser Gefammtperiode feiner Thätigkeit gehören zus
d;k ip:ä::2 nächst zwei, die er vor feiner Rückkehr nach Florenz geschaffen, nämlich ein
I,eTisFkdoss. Porträt der Herzogin Ifabella Gonzaga von Mantua und eine Madonna mit