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Viertes Buch.
Abt11ei1ung.
Zweiter Abfc11nitt.
versetzt hatten, in den Vordergrund, die Landschaften aber in die freilich nicht
immer mit guter Perspektive ausgestatteten hinteren Gründe feiner Bilder; und
mit dramatifchem Sinne setzte er die auf diese XJVeise zur Lebensgrösse ausges
wachsenen Hauptperfonen der historischen Darstellungen in lebhafte und leidens
fchaft1iche Beziehungen zu einander. Die Formen feiner Gestalten sind freilich
noch hager und spröde, ihre Bewegungen noch eckig, die Linien feiner Kon1pos
f1tionen noch nicht durch Schönheitsregeln gebunden; in diesen Beziehungen
könnten feine Darstellungen sogar nur als räumliche, nicht als idealeVergrösseruns
gen ihrer altvlämischen Vorgängerinnen erscheinen; aber die Vergrösserung der
Charaktere und ihre Belebung von innen heraus ist um so entscheidender für den
grossartigeren Gesammteindruck. Natürlich geht auch bei Mafsys mit der
breiteren Auffassung eine breitere Pinselführung Hand in Hand; doch bleibt er
auf der soliden Grundlage der technischen Traditionen der van Eyck7schen
Schule stehen; soweit er es darstellt, vernachläss1gt er das Beiwerk nicht; feine
landschaftlichen Gründe spielen in ihrer Eigenart sogar eine Rolle in der Ents
wicklungsgeschichte der Landschaftsmalerei; und fein malerischer Vortrag ist
trotz feiner grösseren Breite und Flüssigkeit ausserordentlich bestimmt und ges
diegen. Das Fleisch modellirt er fast ohne Schatten und erreicht doch den
Eindruck plaftifcher Rundung; die Gewänder lässt er oft in verschiedenen Fars
ben schillern, oft in gebrochenen, gedämpften Lokaltönen glänzen, ja, er weiss
feiner Palette mehr Töne zu entloclcen als alle feine Vorgänger, und doch ers
zielt er eine ruhige, weiche und zugleich helle, kühle Harmonie der Gefammts
stimmung.
Das Als fein ältestes erhaltenes grofses Gemä1de haben wir das I509 vollendete
iZTiiir2iTT Altarwerk aus der Peterskirche zu Löwen CFig. 3IOJ, jetzt im Brijsseler Museum,
Mufeums anzusehen. Das Mittelbild enthält eine der jener Zeit geläukigen Darstellungen
der hl. Sippe. Durch drei Bogen einer phantastischen, erst leicht von der Res
naissance berührten Architektur blickt man in eine helle Berglandfchaft hinaus.
Die heiligen Frauen sitzen mit ihren Kindern im Vordergrunde vor einer Balus
strade; zwischen diefer und den Bogenpfeilern stehen die heiligen Männer, welche
ruhig herabfchauen. Hier ist freilich von dramatischem Leben noch keine Rede.
Der traditione1le Stoff erheischte auch das traditionelle, friedliche Traumleben.
Aber die einzelnen Gestalten sind gross und greifbar durchgebildet, find trotz der
gesenkten Augenlider mit eigenem Seelenleben ausgestattet; und die dramatische
Kraft des Meisters kommt dann auf den von aussen und innen bemalten
Flügeln, welche Scenen aus dem Leben von Maria7s Eltern zeigen, nur um so
packender zum Durchbruch. Es sind Bilder von aufser0rdentlicher Lebendigs
keit der Motive und von rijhrender Tiefe der Auffassung.
Das A1:2k. Schon vor der Vollendung dieses Löwener Altares, schon 1508, hatte die
A:1YxT;1TpTTTk Antwerpener Schreinerzunft ein anderes grofses Altarwerk bei Quinten MassyS
kMUreumS, bestellt; und dieses, wahrscheinlich später vollendete Werk zeigt alle jene Forts
schritte des Meisters, die wir hervorgehoben haben. Es ist das grosse Trips
tychon des .Antwerpener Mufeums CFig. 3I1J, welches von jeher für das Haupts
Werk Quinten7s gegolten hat. O Das Mittelbild, welches die Beweinung Christi
Gemä1de
Cfc11on
1834
feinen