Die
Malerei
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im Beiwerk und Costüm wie in der Umgebung nicht minder fein und sorgsam,
als die der Handrischen Künstler, aber die p0etische Luftwirlcung, 7das Vorwalten
des Lichtes, der Schmelz und die Wärme des Tons, welche uns bei Jan van Eyck
entzücken, hat er sich nicht angeeignet; er sieht alles gewissermassen in einer
kühlen Morgenstimmung; Mittelgrund und Hintergrund treten zu scharf hervor.
Dabei kam aber Rogier,s Richtung nach einer bestimmten Seite hin der s7YjY;LI;ksF1s
Zeitstimmung entgegen. Während Jan van Eyck für den intimen Kunstgenuss L L
der vornehmen Kreise schuf, befriedigte Rogier das religiöse Bedürfniss des
Volkes. Das Leiden Christi, dessen Vergegenwärtigung das fromme Gemütl1
verlangte, und das in keinem erhaltenen Werke der van Eyck den Vorwurf
bildet, auch im Genter Altar nur myitisch angedeutet ist, wurde für ihn zum
hauptsächlichen kiinstlerischen Gegenstande. Er war selbst eine streng religiöse
Natur, wie durch die urkundlichen Nachrichten über seine Ausnahme in eine
geistliche Bruderschaft und über Seelenmessen, die seine Wittwe noch lange
Nach seinem Tode zu stiften fortfuhr, bewiefen ist, und so fand er auch die
Sprache, um dem Volke zum Herzen zu reden. Van Mander rühmt ihn wegen
der 1iDarstellung der menschlichen inwendigen Begierden und Neigungen, sei
CI Trübsal, Gram oder Freude, wie das VVerk es verlangte: Gerade feine
Eigenart machte seinen Einfluss so ausgedehnt und so nachhaltig, wie es selbst
der unmittelbare Einfluss der van Eyck nicht gewesen war.
Ein berühmtes Hauptwerk Rogiers, das in älteren Quellen vorzugsweise R1:rti1i1Teq1:;s.
gefeiert wird, und bei dessen Gelegenheit ihn Dürer in seinem Reisetagebuch 1siti1e4k.
Dden grossen Meister Rudierc: nennt, ist untergegangen, wahrscheinlich bei der
Beschiessung Brüssels im Jahre I695: die vier grossen Gemälde in der Goldes
I1en Kammer idem GerichtssaaleJ des Brüsseler Rathhauses. Die nieders
Iändischen Stadtgemeinden pAegten für den Geist, der in ihnen herrschte, das
durch Zeugniss abzulegen, dass sie in solchen Räumen Beispiele strenger und
selbstloser Gerechtigkeit bildlich darstellen liessen, und zwar in Stoffen aus
Pr0fangeschichte und Sage, die aus den Schriftstellern des Alterthums oder
aus mittelalterlichen Erzählungsbüchern geschöpft waren. Zwei Vorgänge
dieser Gattung, bei welchen jedesmal der gerechten Handlung die göttliche
Belohnung entspricht, also vier Bilder im Ganzen, hatte Rogier hier gemalt:
Trajan macht auf das Flehen einer Wittwe beim Aufbruch in den Feldzug
Halt, um den Mörder ihres Sohnes zu richten; Papst Gregor I., durch diese
That gerührt, erbittet von Gott Gnade für die Seele des frommen Heiden und
erhält eine himmlische Bürgschast für die Gewährung seiner Bitte, indem er
ZU dem zerfallenen Körper des Kaisers dessen Zunge, die gerechtes Urtheil
gesprochen, unverwest findet. Graf Herkenbald hatte vom Krankenlager
aus eines Frevels halber feinen eigenen Neffen zum Tode verurtheilt, wie das
Gesetz es befahl. VVeil man den Tod des Herrn erwartete, war sein Gebot
Unausgeführt geblieben. Als der Jüngling aber nach fünf Tagen wieder in das
Zimmer des Alten trat, winkte der ihn heran und erltach ihn mit eigener Hand.
Wie nun Herkenbald, dem Tode nahe, dem Bischof gebeichtet hat, verweigert
ihm dieser die Absolution, weil er die Tödtung des Neffen nicht als Sünde
beichten wollte; doch als der Bischof sich zum Gehen wendet, zeigt ihm der
sterbende in seinem Munde die Hostie, die ihm durch ein göttliches Wunder
ZU Theil geworden. So grause Stoffe konnten einem Publicum nicht auffallend