Dri1tes
Buch.
Abt11eiIt1ng.
Erfker AbfcI1nilt.
der Anordnung, die Einzelheiten, der Schmuck, die Bordüren der Gewänder
find von feinster Ausführung und bewundernswerther stofslicher VVahrheit, so
das Scepter des Herrn mit feinem krystallenen Stabe, die Kronen, besonders
die Marias mit Gold, Edelsteinen und Perlen wie mit eingemischten Lilien,
Rosen und Maiglöckchen.
Die zwei Flügelbilder zunächst enthalten links und rechts Chöre singender
und musicirender Engel in prächtigen, grofsgemusterten Messgewändern. Bei
jenen gibt der vorderste den Tact an, man kann an den Gesichtern die tieferen
Stimmen und den Sopran genau unterscheiden, und der Realismus, der sogar
die Verzerrung der Gesichter durch die hohen Töne veranschaulicht, tritt hier
in voller Wucht auf. Noch schöner, wenn auch nicht so srappant, ist das
Gegenstück, in welchem das Gebanntsein durch das Stimmungsleben der Musik
in der tiefen Versunkenheit des Engels, der die Orgel spielt, und in dem
sinnigen Lauschen der Engel mit Geige und Harfe, welche die Tacte mit den
Fingern zählen, zum Ausdruck kommt. Die metallenen 0rgelpseifen wie das
hölzerne Singepult mit der alterthümlichen Schnitzerei des Erzengels Michael
sind mit äusserster Stoffwahrheit wiedergegeben, den Grund bildet blaue Luft.
Zu äusserst stehen die nackten Gestalten von Adam und Eva in Nischen, über
denen in den halben Bogenfeldern das Opfer von Abel und Kain und Kains
Brudermord als Reliefs gemalt sind. Seit mehr als einein Jahrtausend war
zum erstenmal ein Künstler wieder auf den Gedanken gekommen, nach dem
nackten lebenden Modell zu malen. Freilich ist die Nacktheit diesen Gestalten
nicht das normale Dasein, wie denen des griechischen Alterthumes, sie stehen
befangener da, als sie es in Kleidern thun würden, ihre Bildung ist nicht ideal,
und bei Eva fallen die geschwungene Haltung, der vorstehende Bauch, die
breiten Hüften auf. Aber welche Herrschaft über die Form durch das Auge
allein, dessen Beobachtung noch durch kein anatomisches Studium unterstützt
wars Jede andere Darstellung des Nackten möchte man für conventi0nell ans
sehen, wenn man hier die feinen Härchen an Adams Körper, sowie die vers
schiedene Färbung der gewöhnlich bekleideten Theile und der der Luft auss
gesetzten Extremitäten wiedergegeben sieht. Dabei ist hier ein perspectivisches
Problem gelöst. Wie plastische Figuren, die wirklich oben an jener Stelle
stehen, sind die Gestalten gezeichnet; der Fussboden ist nicht sichtbar, die Füsse
sind bis an die Kante vorgerückt, Adams Zehen ragen heraus. Die Untens
sieht, mit der in Italien gleichzeitig JlJz1Jcxtcfo beginnt, aber erst JlJzzJz22;;s7zxZ fertig
wird, ist hier vollkommen durchgeführt.
H. Ziehen wir die Summe, so besteht das Neue des van Eyck7schen Stils
km. zunächst in der unbedingten Wahrheit der Auffassung. Die van Eyck haben
die Augen für die volle Wirklichkeit geöffnet, diese ganz in ihr Bewusstsein
aufgenommen, und sind dabei aller Mittel Herr, um das, was sie erblickt haben,
darzustellen. Ausgebildetes Formgefühl verbindet sich mit einem C0lorit, das
die feinsten Nuancen wiederzugeben und die grösste stoffliche Wahrheit zu
erreichen weiss. Einer wahrhaft malerischen Darstellung, die seit dem Alters
thum verloren gegangen war, sind sie in Folge ihrer Kenntniss der Perspeetive
fähig, und ausser der Linienperspective wissen sie auch die Lufts und Farbens
perspective zu handhaben. Durch letztere erreichen sie auch volle harmonische
Gesammtwirkung, obwohl sie in ihrer Auffassung der Natur überall von dem