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Drittes Buch.
Abtl1eilung.
Zweiter Abschnitt.
vollzieht die Heiligsprechung der Katharina von Siena. IOJ Die Ankunft des
kranken Papstes in Ancona zum Zwecke des Türkenkrieges.
ski1. Die Darstellungen find ihrem Charakter nach grösstentheils Ceremoniens
bilder. Ein tieferer geistiger Gehalt, ein kräftiges dramatisches Leben konnte
ihnen nicht eigen sein, das lag in der Aufgabe selbst. Aber Pinturicchio hat
das vollbracht, worauf es hier ankam: er versteht anschaulich und behaglich
zu schildern. Mangelt den Compof1tionen auch geistige Einheitlichkeit und
festes Gefüge, fehlt es an jenen wuchtigen Charakteren, die in den Wands
bildern der grossen Florentiner austreten, so find dafür die zahlreichen Zus
schauer und Nebenf1guren, die Stutzer, Landsknechte, 0rientalen, eine wahre
Augenlust. Die Motive sind selten bedeutend, oft nach Art der umbrifchen
Schule allzu gefällig, zierlich, ja kokett, aber der unbefangene Blick in die
Wirklichkeit, die naive Lebensfreude find erfrischend. Die prächtigen Costüme,
das Beiwerk, Altarschmuck und Fufsteppiche vor den Thronen, die Hasens
landschaften auf dem ersten und dem letzten Bilde, die stattliche Halle auf
dem zweiten, der stolze Fac;adenbau auf dem dritten CFig. 213J, tragen zur
reichen Gesammtwirkung bei, und ohne irgend einen Zug von Originalität und
Grösse athmen diese Gemä1de die Freudigkeit und Anmuth der Renaissance.
IllY;1Hsa:l9so schliesslich ist noch mit einer Mythe, die sich an diese Bilder geknüpft
Mitwirkung. hat, aufzuräumen: derjenigen von der Mitwirkung lZxzJJfaesJ.5. In dessen Bjos
graphie lässt Vafari ihn einige Zeichnungen und Cartons zu diesem Werke
für feinen Freund Pinturicchio machen, im Leben Pinturicchio7s sogar die Ents
würfe und Cartons für sämmtliche Bilder, wofür er als Beweis einen noch in
Siena erhaltenen Carton und mehrere Zeichnungen in feiner eigenen Samms
lung ansührt. Es gab alfo für diese Behauptung offenbar keine andere Grund:
lage als den Umstand, dass diese sammlungsgegenstände damals auf den
Namen Raphael getauft waren, wie denn erfahrungsgemäfs bei Zeichnungen
in noch viel gröfserem Masse als bei Gemälden die minder berühmten Namen
von den Namen ersten Ranges im Kunsthandel abforbirt worden sind. Drei
Entwürfe sind noch heute in den Ufsizien, in der Sammlung des Herzogs von
Devonshire zu Chatsworth und im Haufe Baldeschi zu Perugia erhalten, und
es liegt kein Grund vor, die Zeichnungen selbst wie die auf ihnen angebrachs
ten schriftlichen Bemerkungen der Hand Raphaels zuzuschreiben, dem man
diese doch immerhin schwachen und lahmen Compof1ti0nen nicht auf Rechs
nung setzen darf. Die Veränderung der ausgeführten Bilder gegen die skizzen
sind keine anderen, als sie sonst in gleichem Falle vorzukommen pflegen, und
sind vor allem keine Verfchlechterungen, wie behauptet worden ist; denn dass
etwas skizzenhast Hingeworfenes für den ersten, flüchtigen Blick sich oft geists
reicher ausnimmt, als das sorgfältig Ausgeführte, kann man nicht bloss in
diesem Falle wahrnehmen O. Der Urheber dieser Blätter ist kein Anderer als
Pinturicchio selbst.
Von anderen in Siena entstandenen Arbeiten erwähnen wir nur noch die
sHeimkehr des 0dysseus, ein auf Leinwand übertragenes Wandbild aus dem
II Der Verfasser, der diefeS Urtheil fcl1on Anfang 1878 in einer Anzeige von Szjn72gZ7s7.s ,,Ras
pl1ael und Michelangel044 in der Nationalzeitu11g ausgeführt, conllatirt mit Befriedigung, dafs JWZzmejZ
in der neuen VafarisAusgabe lich gleichfalls diefer Anf1cht zuneigt.