Volltext: Die Malerei der Renaissance (Bd. 2)

des 
Malerei 
Die niederländifcl1sc1eutfche 
Jahr11underts. 
die erst aus einer späteren Stufe und dann zunächst in Italieii beginnen. Allers 
dings mangelt dadurch Ost die volle Sicherheit, namentlich sur die geringeren 
und abhängigen Künstler; bei den grossen, massgebenden Meistern ist es aber 
staunenswerth, welches Verständniss der Form und welche Herrschaft über 
dieselbe sie sich durch die Anschauung allein anzueignen wussten.s 
Ganz besondere Fortschritte ermöglichte diese neue Epoche aber ai1cl1iispisiHe1i2sikic 
der Malerei im besonderen. Wir wollen vorläufig unberührt lassen, dass neue 1x1F1TLki. 
Arten technischer Behandlung ausgebildet wurden; aber noch wichtiger ist, 
dass die Naturbeobachtung und der gesteigerte Sinn für das Mechanisclie zur 
Wiederentdeekung der Perspective fuhren, der unumgänglichen Vorauss dX:Jci1Jj1:;s1cs1tcsr 
setzung aller Malerei überhaupt. VVas die griechische Malerei in dieser Be. is2isspeckivc. 
ziehung besessen hatte, war mit dem Verfall des Alterthums nach und nach 
geschwunden, das Mittelalter hatte daher statt einer eigentlichen Ma1CkCi 11Uk 
ein schwaches Surrogat sur dieselbe, eine zeic1me11de Darstellung in blossen 
Umkissen und C010kirung, gekannt. Jetzt gewinnen die Niederländer und die 
Italiener gleichzeitig das Verlorene wieder. Die ersten Handrischen Meister 
des I5. Jahrhunderts zeigen schon die volle Herrschast über die Linienpers 
speetive, die allerdings weiterhin nicht bei allen ihren Nachsolgern, besonders 
nicht bei den deutschen, gleich sicher gehandhabt wird. Sie wissen was der 
Augenpunkt ist, sie verstehen zunächst, architektonische Ansichten richtig zu 
construiren, sie lösen aber auch das Problem, die Menschengcstalt perspectis 
visch darzustellen, die Verkürzungen correct zu zeichnen. Erst durch die Kennts 
niss der Perspective wird die der Lichts und Schattenwirlcung und damit eine 
Modellirung der Figuren möglich. Mit dem Auftreten der Linienperspective  
sehen wir zugleich die Lustperspective in voller Wirkung. Kurz: das auf dCk 
Fläche ausgeführte Bild gewährt jetzt nicht mehr den Eindruck einer Fläche, 
sondern überwindet diese und lässt die volle Wirkliclikeit in Form und Farbe 
so erscheinen, wie sie aus der Netzhaut des Auges sich spiegelt. Erst damit 
gab es wieder eine wirkliche Malerei. 
Unter diesen Umständen ist die Malerei der Zeit ihrer Ausbildung nach Dis i.12i2kci 
die neueite aller bildenden Künste. Gleichzeitig erscheint sie aber auch ijiEi.FlEe2iiifk 
als die eigentliche Kunst der Neuzeit. Was auch aus anderen Gebieten dHNWm. 
geleistet wird, so hat doch nunmehr die Malerei die Führerrolle, in ihr wird 
von jetzt an das Entscheidende, das Genialste geleistet. Das neue Verhältniss des 
Menschen zur Natur Hndet in ihr vorzugsweise sein lciinstlerisches Organ. Nicht 
nur bestimmte Arten von Gegenständen der Natur, wie die Plastik, sondern die 
sichtbare Natur in ihrem ganzen Umsange darzustellen, ist die Malerei befähigt. 
Sie allein erreicht den täuschenden Schein der Realität. Aber auch in geistis 
get Hinsicht vermag sie allein sur den Ausdruck des Empsindungslebens bis 
in seine feinsten Regungen hinein das Mittel sichtbarer Darstellung zu werden. 
Das Wesen der neuen Kunst liegt jedoch nicht bloss in dem neuen Vers  
hältnisS zur Natur und in der Ausbildung des wahrhaft malerischen Gefühls, U 
sondern auch in der individuellen Auffassung, die von nun an dem künstleris 
schen Schaffen eigen ist. Im engsten Zusammenhange mit der neuen Stellung 
des Menschen zur Natur steht das geänderte Bewusstsein des Menschen VOU 
HEFT selbst, der nicht mehr wie im Mittelalter durch das Gefühl der Abhängigs 
kC1k Von höherer Macht beherrscht wird, sondern von der Erkenntniss der
	        
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