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DritteS Buch.
Abthci11mg.
DR Humz. War nun auch der Humanismus die Quelle der ganzen neuen Bewegung, so
.;1JkiZf,mZf;e vollzieht sich doch im weiteren Verlauf der Renaissance die überraschende VVands
lung, dass er von der bildenden Kunst, die ihm so Wesentliches verdankte,
weit überslügelt wird.1J Die Blüte der italienischen Literatur war mit dem
I4. Jahrhundert vorüber; wenn auch noch manche Poeten in der Vulgärsprache
dichten, so ist doch das Geschaffene nur theilweise von Belang. Es überwiegt
die ausgesprochen classische Richtung, die in Sprache und Form lateinisch ist,
dem Volke naturgemäss fern steht und oft nur rhetorische Exercitien statt
poetischer Schöpfungen liefert. Auch das wissenschaftliche Streben, trotz seines
Eifers, seiner Mannigfaltigkeit und seiner glänzenden Resultate, wird für die
Humanisten oft nur ein Spiel des Geistes; es fehlen bei aller Freiheit des Deni
kens doch nur zu oft der Ernst der Gesinnung und die sittliche Tüchtigkeit,
VjII1,ZZI,zIFs ohne welche auch auf wissenschastlichem Gebiete die höchste Leistung nicht
muss möglich ist. Die freiesten Geister, die kühnsten 0pponenten, ein Laurentius
Valla, ein Aeneas Sylvius, fügen sich willig den Mächten, gegen die sie
kämpften, und verstehen sich zum Widerruf, wenn der persönliche Vortheil das
fordert. Die sittliche Unzulänglichkeit, für welche Bequemlichkeit und Genuss
des Daseins erste Rücksicht sind, prägt sich vor allem in dem tiefen Verfall
der kirchlichen Zustände aus und lässt den am Anfang der Epoche erhobenen
Ruf nach Reformati0n der Kirche an Haupt und Gliedern von den Päpsten
selbst, welche diese Verpflichtung übernommen hatten, vereitelt werden, nicht
am wenigsten durch die Humanisten auf dem päpstlichen Stuhle. Darin liegt
die Einseitigkeit des Humanismus, dass er zwar die geistige, doch nicht die
sittliche Bildung regenerirt. War die vLosgebundenheitcc im Denken und Hans
deln schon. im Mittelalter die Eigenschaft des Italieners, so tritt sie jetzt um
so schärfer hervor, als der Humanismus die freie Ausbildung der menschlichen
Persönlichkeit fördert, ohne ihr sittlich einen Zügel anzulegen. Am Abschluss
des I5.Jahrhunderts stehen die B0rgia; diese grosse Periode wird von Selbsts
sucht, Unsittlichkeit und Verbrechen überfluthet, dieses glänzend begabte, hochs
gebildete Volk ist so zerrüttet, dass es den Raubzug eines abei1teuernden
Franzosenkönigs widerstands10s über sich ergehen lässt.
gegen. Aber mit allen Makeln, die dem damaligen Italien anhaften, versöhnt uns
TfzTYiEF,I,,H1, die bildende Kunst. Sie ist nicht die Sache vornehmer Genussmenschen, sons
dem die Sache des ganzen Volkes, dessen eigenstes Empfinden in ihr sich
äussert. In der bildenden Kunst ist das ideale Element der damaligen Geistess
richtung verkörpert. Bei aller Äeusserlichkeit des Cultus, aller Verw0rsenheit
des Klerus stehen doch die Kunstwerke als Beweis dafür da, dass die innigste
Frömmigkeit und gläubigste Erhebung noch aus den Gemüthern reden und
von ihnen verstanden werden. Auch da, wo die Empfindung nicht als eigents
lich kirchliche gelten kann, walten doch solche see1envolle Schönheit, solche
I.auterkeit des Gefühls, solch grossartiger Ernst, solche feurige Begeisterung
für das Höchste, dass bei aller moralischen Unzulänglichkeit der Epoche doch
der Kern von Gesundheit, Adel und Reinheit unverkennbar hervortritt, der in
diesem Volke lebt, das sich gewöhnt hatte, vdas Gute unter der Gestalt des
Schönen aufzusuchencc.
stellen
feines Buches
Ita1ienifche stus