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Drittes Buch.
Dritter Abfch11itt.
folgen läfst, erreicht grössere Pc0ffliche VVahrheit in Gewändern, Geräthen und
Nebendingen, offenbart in der Anordnung ein entwickeltes malerifches Gefühl
und erreicht eine so fchöne Ausbildung der landschaftlichen Gründe, wie sie
in den Gemälden deutscher Schule damals noch kaum in Frage kommt.
Sein Stoffgebiet ist ein ausgedehntes, und er greift jeden Gegenstand mit
fchöpferischer Phantalie an. Bei allem Realismus der Zeit ist ihm ein Hauch
jener idealen Empfindung geblieben, wie er der deutschen Kunft der früheren
Periode eigen war. Zarte, feelenvolle Innigkeit spricht aus feinen Mad0nnen,
bei denen f1ch der Ausdruck freilich auch oft in das Erhabene fteigert, aus
den Darflellungen der Verkündigung, der Krönung Marias, aus jugendlichen
Frauengeftalten, wie der heiligen Agnes. Seine volle Meiiterfchaft in der
Compos1tion, fein Liniengefühl, feine vollendete Gruppenbildung zeigt naments
lich der Tod Marias, bei dem wir zugleich die treffliche Lichtführung bewuns
dem können. In feiner Pafs1onsfolge, in dem gr0fsen Blatte der Kreuztragung,
einem feiner Meisterwerke, offenbart Schongauer feinen dramatischen Sinn.
Die Handlungslof1gkeit und befcheidene Stille eines DzJsX5 Zwist oder JlXJZ;;zZz.7zc
kennt er nicht; bei ihm greifen entfchiedene Handlung, lebhafte körperliche
Bewegung und dramatische Spannung in einander. selbft Rogier, fo sehr ihm
der Ausdruck der Leidenschaft gelingt, hat es nie zu f0lcher Freiheit und
Flüssigkeit der Action gebracht. Wenn Schongauer dann die Gegner Christi
in ihrer Verruchtheit schildern will und dazu kein wirksameres Mittel kennt,
als körperliche Häfslichkeit, wenn er f1e als Cretins mit verkrüppelten Formen
und widrigfier Gemeinheit des Ausdrucks auftreten lässt, fo folgt er darin der
Anschauungsweife feiner Zeit. Schongauer7s Pasf1onsfcenen wurden populär
und dienten zahlreichen anderen Malern zum Vorbilde, weil sie gerade das
gaben, was das Volk ergriff und ihm verständlich war. Echte Tragik und
tiefes Gefühlsleben offenbaren mehrere Darstellungen des Gekreuzigten
CFig. 165l. Sch0ngauer7s geniale Phantasiik zeigt sich namentlich in der Vers
suchung des heiligen Antonius CFig. I66J, bei welcher die Teufelsfratzen, mit
Humor und mit dämonifcher Wildheit aufgesafst, zugleich durch die Wunders
bare Kenntniss der Thierformen, der Fische, der Insekten, überraschen. Schon
in religiösen Darstellungen kommt mitunter ein Zug des Schalkhaften zum
Ausdruck, wie in den Geftalten der thörichten Jungfrauen; zugleich behandelt
er aber auch genrehafte Vorgänge und Gruppen aus dem Volksleben, den
efeltreibenden Müller, den Zank der Lehrbuben, die Bauernfamilie, die zu
Markte zieht, mit kräftiger Beobachtung und behaglicl1er Laune.
sch0ng2u2ks Eine Schule,, die unter Schongauer7s unmittelbarem Einfluss stand, war
Schule. am 0berrhein, im Elfafs, im Breisgau, am Bodenfee ausgebreitet. Die zahls
reichen Gemälde dieser Richtung, welche namentlich in den Sammlungen zu
Basel, Donaueschingen, Karlsruhe, Berlin vorkommen, können wir hier nicht
im Einzelnen durchnehmen.
sc1m1s was Weiter öPc1ich war Ulm, wo im Jahre I473 die Malerbruderfchaft vbei.
Ulm. den Wengencc gegründet wurde II, ein Hauptsitz der Malerei. Die Flügel und
Haus das Sockelbild des Hochaltars in der Kirche zu Tiefenbronn find nach der
TiFkTiIHiiZE.1nschrift im Jahre I469 von J:JxmF .ScJzzZcJzZzlJz zu Ulm vollendet worden. Die
II Verhandlungen des Vereins für
Kunft u.
A1tetthum in
UIm 11.
0berfchwaben,
l870s