48
Zweites Buch.
Erfter Abfchnitt.
vorzugehen, welche ihm aufser vieler Feinheit und Eleganz in der Darfiellung
des Geiichtsausdrucks und aufser einem gewiffen theoretifch fpitzfmdigen
Raflinement in .der Durchbildung der Proportionen, vor allen Dingen die feinfie
Ausführung der Conturen im Sinne einer täufchend naturwahren Modellirung
der Körperformen zufchreiben; udßnlhv, fagt Plinius bei diefer Gelegenheit,
adie Extremität mufs fich in {ich abrunden und fo verlaufen, dafs fie noch
etwas hinter {ich verheifst und felbft das verräth, was fie verbirgtu.
Aufserdem fcheint es, dafs Parrhafios fich, wie fowohl aus diefen und
anderen Aeufserungen der Schriftfteller, als auch aus der Wahl feiner Gegenfiände
hervorgeht, den allgemeineren Situationen des Zeuxis gegenüber, vor allen
Dingen auf die Ausbildung pfychologifch intereffanter Momente verlegt habe.
Seiflgxilfp" Zu feinen Hauptwerken diefer Art gehören: Odyffeus, welcher Wahnfinn
heuchelt; der Wettkampf zwifchen Odyffeus und Ajas um die Waffen des
Achilleus; Philoktetes auf der Infel Lemnos jammernd; Bilder aus der Meleager-
und Telephos-Sage; endlich die Darfiellung des attifchen Volkes, des GDCmOSn,
den er nach den Einen in einer einzigen Perfonification, nach den Anderen
durch verfchiedene Geftalten, jedenfalls aber in pfychologifch fein erwogener
Combination aller feiner guten und fchlechten Eigenfchaften darfiellte. Da
Ariftophanes etwa gleichzeitig den perfonificirten Demos auf die Bühne brachte,
fo war auch der Demos des Parrhafios wohl ficher als eine einzige Perfon
gebildet.
Von einzelnen Göttern und Helden wählte er Hermes, Prometheus, He-
rakles, Thefeus. Mehr genreartig müffen die Darfiellungen einer thrakifchcn
Amme, die ein Kind auf dem Arme trug, und zweier Knaben gewefen fein,
von denen der eine die Dummheit, der andere die Dreiftigkeit ihres Alters zu
perfonificiren fchienen. Aehnlich werden die Darftellungen eines von Tiberius
hochgefchatzten Oberpriefters der Rhea und eines Priefiers, neben dem ein
bekränzter Knabe das Weihrauchbecken hielt, aufgefafst werden müffen. Auch
der berühmte Vorhang, mit deffen Darftellung er den Zeuxis befiegte, und
die unzüchtigen Bildchen, die er, nach Plinius, zu feiner Erholung zu malen
pflegte, würden hierhergehören.
Gesf:2mt_ Erhabenheit, heilige Würde, ethifche Gröfse fcheinen nicht zu den Zielen
Charakter. des Parrhafios gehört zu haben. Wie die Sitten, fo wurde auch die Kunft
lockerer und finnlicher. Wenn daher Quintilian berichtet, des Parrhafios Götter-
und Heldengeftalten feien fo mafsgebend für feine Nachfolger geworden, dafs
man ihn den Gefetzgeber auf diefem Gebiete genannt habe, fo bezieht fich
das, wie auch aus dem Zufammenhange hervorgeht, vor allen Dingen nur auf
die Proportionen und Conturen, die er den Körperformen gegeben. Wie
übrigens Parrhafios in einigen Dingen den Zeuxis übertroffen, fo fuchte er es
ihm jedenfalls auch an künftlerifcher Selbftüberhebung und Ueppigkeit des
Auftretens zuvorzuthun. Im Purpurgewande pflegte er einherzuftolziren, einen
goldenen Kranz auf dem Haupte, goldene Schnallen an den Sandalen. Sein
Selbltporträt nannte er Gott Hermes, f1ch felbfi aber pries er in Profa und
Verfen als einen Spröfsling Apollons und als den Fürften der Kunft; auch
legte er {ich den Beinamen Habrodiaitos, d. h. der Ueppig-Lebende, bei, ein
Beiname, den Spötter freilich in Rhabdodiaitos, d. h. der durch feinen Pinfel
Lebende, verwandelten.