Volltext: Die Malerei des Alterthums (Bd. 1)

Zweites Buch. 
Erfter 
Abfchnitt. 
die ausführlichflen Befchreibungen hinterlaffen, und mit ihrer Reconfiruc- 
tion haben fich zahlreiche Künitler und Gelehrte unferes Jahrhunderts be- 
fchäftigt 1). 
Iliuperlis. An der Wand zur Rechten des Eintretenden war die Zerfiörung Troja's 
und die Abfahrt der Griechen dargeftellt. Noch tobt der Kampf zwifchen 
einzelnen Helden, noch ift Epeios im Begriffe, die Mauer der eroberten Stadt 
niederzureifsen, noch fitzt Kaffandra am Boden und hält das Bild der Athene 
gefafst; aber fchon rüfien fich die gefangenen und wehklagenden Troerinnen, 
abgeführt zu werden, fchon wird das Zelt des Menelaos am Strande vor Troja 
abgebrochen, fchon wird das Schiff des fiegreichen Helden zur Abreife beladen. 
Das langgeftreckte Wandgemälde ftellte nämlich links vom Befchauer die Stadt 
dar, Welche durch das Haus des Antenor angedeutet war, rechts aber das 
Meer, das {ich unten bis gegen die Mitte des Bildes hin erftreckt haben mufs. 
Nckyia, An der Wand zur Linken war dagegen die Unterwelt nach der Vor- 
Prellung des griechifchen Epos abgebildet: Odyffeus, der zum Hades hinab- 
geftiegen war, um die Seele des Teirefias wegen feiner Heimkehr zu befragen, 
und dazu in einer grofsen Anzahl geiftvoll und fymmetrifch vertheilter Gruppen 
die verfchiedenfien Geiialten, welche das Reich der Schatten bevölkerten. In 
der Mitte fcheint Orpheus mit feiner Kithara unter einem Weidenbaum gefeffen 
zu haben. Ganz links lenkte Charon, der greife Fährmann, feinen Nachen 
über die Wellen des Acheron; ganz rechts ftrengte Sifyphos fich an, feinen 
Felfen den {teilen Abhang hinanzuwälzen und duldete Tantalos alle Leiden, 
die Homer von ihm dichtet. 
Damenungg Die Darftellungsweife diefer Gemälde wollen wir etwas näher unterfuchen, 
wggggfggäi um von ihnen auf alle übrigen Wandgemälde des Polygnotos und feiner Zeitge- 
noffen zurückfchliefsen zu können. So gering auch die Andeutungen find, 
welche die alten Schriftfteller uns über den Stil diefer alten Schule hinterlaffen, 
fo müffen fie doch genügen, uns eine einigerrnafsen klare Vorflellung von 
demfelben zu verfchaffen. 
Vor allen Dingen müffen wir daran fefthalten, dafs auch diefe Gemälde, 
fo entfcheidende Schritte fie im Einzelnen über die gefammte orientalifche 
Malerei hinaus gethan, doch wirklich malerifche Flächendarftellungen noch 
ebenfo wenig gewefen, wie die Wandmalereien der Affyrer und Aegypter. 
Auch die Gemälde der Polygnotifchen Schule haben noch aus einzelnen, nicht 
 durch einen gemeinfamen Hintergrund natürlich verbundenen, fondern von 
einem einfarbigen, in der Regel wahrfcheinlich weifsen Grunde filhouetten- 
artig fich abhebenden Gruppen beftanden. Auch fie haben vom Beiwerk des 
Hintergrundes, fei cliefes nun landfehaftlicher Natur oder nicht gewefen, nur 
einzelne Gegenftände, wie ein Haus, einen Baum, ein Stück Waffers u. dgl. 
1) Goethe: Polygnofs Gemälde 1803. (Werke, IIempePfche Ausgabe, Bd. 28.)  Riqßenhaufen; 
Peintures de Polygnote etc.,' Rome r826.  O. Yzzlm: Die Gemälde des Polygnotos, Leipzig 1841.  
F. G. Welrker: Compolition der Polygnotifchen Gemälde, Berlin 1848.  W. Geälmrdt: Die Com- 
poiition der Gemälde des Polygnot, Göttingen 1872. Auch Michaelis und Blümner haben {ich neuer- 
dings an den Streitfragen, welche diefe Gemälde betreffen, betheiligt. Die völlig richtige Haltung 
und Gruppirtmg jeder einzelnen der von Paufanias befchriebenen Figuren herzuilzellen, iPc feit Langem 
eine verlockende Arbeit für die Archäologen gewefen. Ein gewiffer Skepticismus allen diefen Ver- 
fuchen gegenüber wird dem kaltblütigen Beobachter nicht zu verargen fein.
	        
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