Das
fpäte Mittelalter.
Italien.
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flnd. Ambrogio führte, nach den amtlichen Zahlungsausiveifen, in den Jahren
1338-1340 diefe Bilder aus, die in dem Sitzungslocale der oberften Regierungs-
behörde das Wefen und die Segnungen guten Regimentes, die Schrecken
fchlechten Regimentes darftellen follten.
An der Hauptwand ift in einer grofsen Compofition das gute Regiment läaväneäf:
zu fehen._1) Auf dem erhöhten Mittelplatze einer langen, mit Teppichen b
überdeckten Bank fitzt die Perfonification der Commune von Siena, ein mäch-
tiger, in riefigem Mafsflabe gebildeter königlicher Greis, fchwarz und weifs,
in die Stadtfarben, gekleidet, in den Händen das Scepter und das Siegel von
Siena: die Madonna zwifchen Engeln2); ihm zu Füfsen liegt das XVappen-
thier der nSena Juliau, die Wölfin (fle fieht freilich kaum wie eine folche aus),
an der Romulus und Remus faugen. Sechs gekrönte Frauen fitzen zu feinen
Seiten, die Tugenden Gerechtigkeit, Mäfsigung, Klugheit, Stärke, Grofsmuth
und Friede, und über dem Haupte des Regenten fchweben die drei theologifchen
Tugenden, Glaube, Liebe, Hoffnung. Vor dem Herrfcher find beiderfeits
Scharen Bewaffneter zu Rofs und zu Fufs, ganz von vorn gefehen, auf-
gereiht; die gröfsere Gruppe rechts hat gefeffelte Gefangene vor flch. Von
links her aber fchreitet eine Proceffion 24 ehrbarer Bürger auf den König zu;
fie halten fich an einer zwifchen ihnen durchlaufenden Schnur, deren eines
Ende der Herrfcher mit dem Scepter in der Hand hält, während das andere
Ende von der am Schluffe des Zuges ganz zur Linken thronenden Concordia
gehalten wird. Aber auch hier hört die Schnur nicht auf, theilt {ich vielmehr,
geht in die Höhe und iPc jederfeits um den Leib eines Engels in einer Wag-
fchale gewunden. Diefe Engel {teilen die jufiitia diftributiva und die Jufiitia
commutativa dar. Jene krönt einen knieenden Mann und enthauptet einen
andern; diefe legt einem Geld in feine Schale und reicht einem anderen
NVaffen. Die juftitia, deren Attribute die beiden Engel find, thront zwifchen
ihnen über der Concorclia und läfst auf ihrem Haupte die Wage balanciren,
die ganz oben von der Sapientia gehalten wird (Fig. 133). Italienifche Verfe
find aufser den lateinifchen Ueberfchriften zur Erläuterung dazugefetzt.
Ein iirmer Scholaftiker und Arifioteliker mufs dem Künfiler das Programm
für diefe Malerei geftellt haben. Daffelbe bot ihm keine geringen Schwierig-
keiten und drängte fich in feiner abfichtsvollen lehrhaften Tendenz itark her-
vor. Es nöthigte ihm unkünfllerifche Beihilfen auf, wie die grobe Verfinn-
lichung eines logifchen Zufammenhangs durch jene durchlaufende Strippe.
Aber auch fo kam Ambrogio mit der Aufgabe zurecht; bei dem ftreng symme-
trifchen Aufbau beider Theile, bei dem Mangel an Tiefe, der faft nur ein
Uebereinander geftattete, bei der mehrgliedrigen, alterthümlichen Abfiufung
des Mafsftabes, erreichte er dennoch einen grandiofen Aufbau der Compofition
und fchuf majeflätifche, lebensvolle Typen fowohl in den benannten wie in
den unbenannten Figuren. Unter den Tugenden kommt eine fo herrliche Er-
findung vor wie der Friede, das läffig hingegoffene, auf die Polfter gelehnte
Weib in fliefsendem Gewande, die Füfse auf Waffen, in der einen Hand den Oel-
I) Abb. Crowe u. Cazlalrajelle II. zu S. g
und 2.
2) Die Umfchrift C. S. C. C. V. bedeutet:
Partie rechts bei E.
Förllw",
Denkm.
Commune Senarum
virtutibus.
civilibus