Das
fpäte Mittelalter.
Italien.
447
Kunft waren, fo hatte eine vom Dominicanerthum geiftig beherrfchte Malerei
in dem Klofier diefes Ordens zu Florenz, S, Maria Novella, ihren Sitz. Die
Kunft des Franciscanerthums rief zwar mitunter Allegorien voll feholafiifchen
Geiftes hervor, aber ihr Hauptgegenfiand blieb doch immer die Legende
des Heiligen. Den Dominicanern aber, wie Hettner1) neuerdings meifierhaft
ausgeführt hat, fehlte diefe Poefie der Legende, und der Orden, welcher die
Inquifition und die Predigt, die Kirchenzucht und die Belehrung des Volkes
in der Hand hatte, fuchte für jenen Mangel Erfatz in lehrhaften Darftellungen,
die das Syiiem und die Moral des heiligen Thomas von Aquino, des fcho-
lafiifchen Dominicaner-Theologen, verherrlichten. Den gröfsten und wichtigiien
unter allen Verfuchen diefer Art haben wir in den Bildern der Spanifchen
Capelle vor uns, die bis in ihre Einzelzüge den Schriften des Thomas von
Aquino entnommen und genau nach einem von den Oberen oder den Gelehrten
des Klofiers feligefiellten Programme gemalt lind.
Die füdliche Eingangswand enthält Scenen aus der Legende des heiligen Sganifche
Dominicus und des Petrus Martyr, die nördliche Altarwand das Leiden Chriiii, zügig;-
in einer höchfi Hgurenreichen Kreuzigung, der {ich tiefer die Kreugtragung Aiiäilglmu
und Chriftus in der Vorhölle anfchliefsen; das Gewölbe Petrus auf dem Meere Gewönyi
wandelnd nebft den Jüngern im Schiffe, ferner Auferitehung, Himmelfahrt und
Ausgiefsung des Geiftes. Die beiden Hauptbilder haben an den ungetheilten,
bogenförmig fchliefsenden Wänden weltlich und öftlich ihren Platz und
Pcellen Kirchenlehre und Kirchenzucht nach den Begriffen des Dominicaner-
thurns dar?)
Das Bild an der Weftwand ift aus der Summa theologiae des Thomas von YVeflwancl.
Aquino gefchöpft. Unten zieht (ich eine Reihe gothifcher Chorftühle mit vier-
zehn thronenden allegorifchen Geftalten hin, denen zu Füfsen ihre gefchicht-
liehen Vertreter in gleicher Anzahl iitzen; zunächft die fieben freien Künfte:
die Grammatik und unter ihr Donatus, die Rhetorik und Cicero, die Dialektik
und Ariitoteles, die Mufik und Thubalkain, der den Hammer über dem Ambos
fchwingt, die Aftronomie und Ptolomäus, die Geometrie und Euklid, die Arith-
metik und Pythagoras. Dann die drei theologifchen Tugenden, Liebe mit
Pfeil und Bogen, Hoffnung und Glaube, unter ihnen Auguiiinus und zwei
andere Heilige; ferner Devotio und Oratio, letztere mit einem Chrifiusbilde,
Andacht und Cultus, die innere und die äufsere Art von Gottesverehrung, unter
ihnen Hieronymus und Bafilius, zuletzt das göttliche Gefetz mit einem Kirchen-
modell und das menfchliche Gefetz mit Schwert und Erdkugel, zu ihren Füfsen
Papft und Kaifer (Fig. 131). Ueber diefen Sitzreihen baut fich eine dritte auf, in
deren Mitte, unter reich verziertem Thronbaldachin, der heilige Thomas von
Aquino mit offenem Buche fitzt, während unter ihm, düfier und grollend, die
drei überwundenen Irrlehrer Averroes, Arius und Sabellius kauern, und auf den
Bänken feitwärts zehn Gefialten aus dem Alten und Neuen Teftament, Autoren
heiliger Schriften, zu denen St. Thomas Commentare gefchrieben, zu fehen
find. Den oberften Raum füllen fchwebende Engel. Der Gegenftand von
der Domi
nicaxlerkunmfi: (les
I) Hermann lfetlnzr: Zur Charaklcriftik der Domir
für bild. Kunft XIII. 1878, S. I, 81.
2) Rojini, Tal", I3, I5. Einzelnes bei Fiiyjlrr, Taf.
Jahrhunderts.
Zeilfchrift