Volltext: Die Malerei des Alterthums (Bd. 1)

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Buch. 
Zweites 
Periode. 
Vierter Abfchnitt. 
hannes an ChriPci Leichnam, bis zur wilden Bewegtheit in den oberen, flattern- 
den, klagenden Engeln kommt der Affect zum Ausdruck. Auch in den unteren 
Tugenden und Laftern ifl nicht blofs ein äufserliches Kenntlichmachen der 
Perfonificationen, fondern eine echt pfychologifche Auffaffung derfelben er- 
reicht. Die ganze Phantaflik der Zeit kommt in der Hölle auf dem Jüngilen 
Gerichte zur Geltung mit den zahllofen nackten Figürchen in ihren ausgefuchten 
Qualen und dem an die Schilderung im 34. Gefange des Inferno erinnernden 
Höllenkönige, der in ungeheuerer Gröfse, nackt, in aufgefchwemmten Formen 
daiitzt, unglückliche Opfer zwifchen den Händen und im Rachen. 
Die Figurenzahl iPc in allen übrigen Cornpoiitionen, namentlich in den rein 
dramatifchen, mäfsig. Giotto {teilt meift nur die nothwendigen Acteurs'hin; 
müfsige Nebenliguren gibt es bei ihm nicht. Aber alle, die da Gnd, nehmen 
dann auch geiflig an dem Vorgange theil, fmd eng an die Sache gekettet 
und reden untereinander in einfachen aber lebensvollen und verfländlichen 
Geberden.  
Gefleigerte Solche Erfaffung des Pfychologifchen fetzt nun allerdings eine gefteigerte 
Anfciiäiung Anfchauung der Wirklichkeit voraus, und wenn auch nicht gerade ein Studium 
Wirklichen" der Formen nach der Natur, fo doch ein Beobachten der Vorkommniffe und 
des fich Verhaltens der Menfchen im Leben. Schnaafe hat in diefer Beziehung 
eine tieffinnige Parallele zwifchen Giott0's und Dante's Verhältnifs zur Natur 
gezogen. Wie der grofse Dichter oft naiv nach Anfchaulichkeit ftrebt, Ptatt 
hergebrachter Metaphern neue Bilder herbeizieht, die ihm Naturphänomene, 
Kriegsleben, Reifen, Feile, tägliches Leben bieten, felbft ganz drafiifche nicht 
verfchmäht, etwa beim Spitzen des Auges an den Schneider, der die 
Nadel einfadelt, erinnert, bei den Wucheren im Feuerregen an die Hunde 
denkt, die {ich beim Stiche der Infecten mit der Pfote kratzen, fo webt Giotto 
auch rein genrehafte Züge ein: die ruhig dafitzende fpinnende Magd bei Annas 
Gebet, den feiften, ganz aus dem Leben gegriffenen Küfer bei der Hochzeit 
zu Cana, der den Wein auf der Zunge prüft. Auch das Kinderleben ift der 
Wirklichkeit trefflich abgelaufcht, fo die neugeborene Maria, die beim Reinigen 
ihrer Augen das Geiicht unbehaglich verzieht, oder das Chriftusknäblein auf 
den Armen Simeons, das zur Mutter zurückverlangt. Und als Giotto nach der 
Vermählung von Maria und Jofeph eine feltenere Epifode, die Heimführung des 
Paares, darltellte, war ihm die Veranfchaulichung des feftlichen Aufzuges, der 
Geiger und Pfeifer, der geleitenden Jungfrauenfchar eine anziehende künftle- 
rifche Aufgabe. Dennoch ergeht er fich auch bei folchen Zügen nicht in dem 
gefälligen Behagen der nordifchen Kunit, deren Humor den Italienern fremd 
blieb. Ihm ift immer ein gehaltener Ernft eigen, und mag er auch Cimabue 
und Duccio gegenüber weniger Idealität zeigen, fo iit doch feine kräftige Ent- 
fchiedenheit immer würdevoll.  
Von feinen Malereien im Capitelhaufe des Santo zu Padua 1) {ind nur noch 
Ravenna. geringe Spuren da. In Ravenna, wo Vafari dem Giotto die Ausmalung einer 
Capelle in S. Giovanni Evangelifta zufchreibt, ift noch die Wölbung der- 
felben erhalten: in jeder Kappe ein Evangelift und ein Kirchenvater, doch 
 ohne Beziehung zu einander, und oben iltets das Symbol des erlteren. 
1) [klickele 
S avwuz 1'011:  
De laud. 
urbis Pat. 
bei jlluralori 
XXIV, 
1159
	        
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