Volltext: Die Malerei des Alterthums (Bd. 1)

400 
Zweites 
Buch. 
III. Periode. 
Drittel 
Ab fchnitt. 
fie reichen nicht hin, um durch Vergleichung mit Tafelbildern andere Arbeiten 
von derfelben Hand erkennen zu laffen. Wiffenfchaftlich ift es daher nicht ge- 
rechtfertigt, von Tafelbildern des Meifters Wilhelm zu reden. Wir kennen nur 
treffliche Kölnifche Bilder aus feiner Zeit und nehmen wahr, dafs die Erzeug- 
niffe diefer Schule zu dem Beften gehören, was die Staffeleimalerei damals zu 
leiften im Stande war. Hiermit müffen wir uns für eine Epoche begnügen, 
in welcher die Kunftgefchichte noch keine Künftlergefchichte ift, der beffere 
 Meifter {ich von den übrigen Zunftgenoffen nicht durch andere Gefühlsweife, 
fondern nur durch den Grad der Ausführung, die befondere technifche Treffiich- 
keit unterfchied. 
Tnfelbililer. War in der Prager Schule der Anfang zu objectiver Anfchauung wahr- 
fiidfaiilreii. zunehmen, fo iit in den kölnifchen Tafelbildern die Auffaffung fubjectiver und 
Sfil- von lyrifcher Empfindung durchdrungen. Die Maler {ind nicht durch ge- 
Preigerte Beobachtung der Natur näher gekommen, fondern nur in die feineren 
Regungen der Seele, in das geheime Gefühlsleben wiffen fie tiefer einzudringen 
als ihre Vorgänger; der Körper ift ihnen nur das Werkzeug der Seele und 
hat für fie nur in foweit Werth, als er der Empfindung zum Organ dient. In 
Form und Bewegung der Figuren wird der überlieferte fpätgothifche Typus 
fefigehalten, die Geftalten {ind fchlank, übermäfsig emporgereckt, fanft gei 
fchwungen in der Haltung, faPc hüftenlos und ohne eine Andeutung des 
Knochengerüftes; die Glieder fchwächlich, faft unfähig zu kräftigerer Action, 
die Hände länglich, zierlich, ohne Angabe der Gelenke. Die Gewandung ift 
fchwungvoll, Hiefst aber in weichen, gleichmäfsigen Falten herab, ohne den 
Körperbau hervorzuheben. Von dem bisherigen gothifchen Stile unterfcheidet 
fich die Auffaffung nur dadurch, dafs die derben, dreiften Züge mehr zurück- 
treten, die Geberden mafsvoller lind, die Ausbiegung des Körpers etwas ge- 
mildert erfcheint, und dafs die Technik der Tafelmalerei erlaubt, die Köpfe 
feiner auszuführen und gröfseres Leben in fie hineinzulegen. 
Auch der Typus der Köpfe ift ein feftftehender: ein längliches Oval mit 
hoher Stirn, gerader, ziemlich langer Nafe und feinem Munde, gefenkten Augen 
mit halb gefchloffenen Lidern; aber aus diefen Zügen athmen holder Friede 
des Gemüthes, rninnigliche Zartheit und ungetrübte Seelenreinheit, Hingebung 
und fchwärmerifche Sehnfucht. Der Ausdruck der Weiblichkeit und Jugend- 
lichkeit gelingt am befien, felbft ernfle, bärtige Männer gehen nie über den 
Charakter milder Würde hinaus. Diefer durchgehenden Empfindung entfpricht 
die Farbe, die in den Gewändern heiter und leuchtend, aber immer fein ge- 
brochen im Ton ift, im Fleifche fich zur zarteften Klarheit bei ganz weifsen 
Lichtern Pceigert, flüfiig, leicht, mit mäfsiger Modellirung vorgetragen und {tets 
fein zu dem prächtigen Goldgrunde geftirnmt ift, der fich hinter den Figuren 
ausdehnt und fie in eine ideale Welt verfetzt. 
Eliäqlgfüde,  Schnaafe hat in diefen Malereien das Spiegelbild der damaligen religiöfen 
3 1 er" Empfindung, vor allem der RlChtung der Myftiker erkannt. In den Bildern 
lebt ein religiöfes Gefühl, das weit über das Mafs kirchlicher Frömmigkeit 
hinausgeht und dem innerften Bedürfnifs des Herzens entfpringt. Mögen die 
Myftiker, die nGottesfreundeu, das hohle F ormelwefen in der Lehre, die kirch- 
liehen Mifsbräuche, das unfittliche Leben der Geifllichkeit tadeln, fo fehen 
fie doch das Heil nicht in reformatorifchem Eingreifen oder in äufserer Werk-
	        
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