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Zweites
Buch.
III. Periode.
Drittel
Ab fchnitt.
fie reichen nicht hin, um durch Vergleichung mit Tafelbildern andere Arbeiten
von derfelben Hand erkennen zu laffen. Wiffenfchaftlich ift es daher nicht ge-
rechtfertigt, von Tafelbildern des Meifters Wilhelm zu reden. Wir kennen nur
treffliche Kölnifche Bilder aus feiner Zeit und nehmen wahr, dafs die Erzeug-
niffe diefer Schule zu dem Beften gehören, was die Staffeleimalerei damals zu
leiften im Stande war. Hiermit müffen wir uns für eine Epoche begnügen,
in welcher die Kunftgefchichte noch keine Künftlergefchichte ift, der beffere
Meifter {ich von den übrigen Zunftgenoffen nicht durch andere Gefühlsweife,
fondern nur durch den Grad der Ausführung, die befondere technifche Treffiich-
keit unterfchied.
Tnfelbililer. War in der Prager Schule der Anfang zu objectiver Anfchauung wahr-
fiidfaiilreii. zunehmen, fo iit in den kölnifchen Tafelbildern die Auffaffung fubjectiver und
Sfil- von lyrifcher Empfindung durchdrungen. Die Maler {ind nicht durch ge-
Preigerte Beobachtung der Natur näher gekommen, fondern nur in die feineren
Regungen der Seele, in das geheime Gefühlsleben wiffen fie tiefer einzudringen
als ihre Vorgänger; der Körper ift ihnen nur das Werkzeug der Seele und
hat für fie nur in foweit Werth, als er der Empfindung zum Organ dient. In
Form und Bewegung der Figuren wird der überlieferte fpätgothifche Typus
fefigehalten, die Geftalten {ind fchlank, übermäfsig emporgereckt, fanft gei
fchwungen in der Haltung, faPc hüftenlos und ohne eine Andeutung des
Knochengerüftes; die Glieder fchwächlich, faft unfähig zu kräftigerer Action,
die Hände länglich, zierlich, ohne Angabe der Gelenke. Die Gewandung ift
fchwungvoll, Hiefst aber in weichen, gleichmäfsigen Falten herab, ohne den
Körperbau hervorzuheben. Von dem bisherigen gothifchen Stile unterfcheidet
fich die Auffaffung nur dadurch, dafs die derben, dreiften Züge mehr zurück-
treten, die Geberden mafsvoller lind, die Ausbiegung des Körpers etwas ge-
mildert erfcheint, und dafs die Technik der Tafelmalerei erlaubt, die Köpfe
feiner auszuführen und gröfseres Leben in fie hineinzulegen.
Auch der Typus der Köpfe ift ein feftftehender: ein längliches Oval mit
hoher Stirn, gerader, ziemlich langer Nafe und feinem Munde, gefenkten Augen
mit halb gefchloffenen Lidern; aber aus diefen Zügen athmen holder Friede
des Gemüthes, rninnigliche Zartheit und ungetrübte Seelenreinheit, Hingebung
und fchwärmerifche Sehnfucht. Der Ausdruck der Weiblichkeit und Jugend-
lichkeit gelingt am befien, felbft ernfle, bärtige Männer gehen nie über den
Charakter milder Würde hinaus. Diefer durchgehenden Empfindung entfpricht
die Farbe, die in den Gewändern heiter und leuchtend, aber immer fein ge-
brochen im Ton ift, im Fleifche fich zur zarteften Klarheit bei ganz weifsen
Lichtern Pceigert, flüfiig, leicht, mit mäfsiger Modellirung vorgetragen und {tets
fein zu dem prächtigen Goldgrunde geftirnmt ift, der fich hinter den Figuren
ausdehnt und fie in eine ideale Welt verfetzt.
Eliäqlgfüde, Schnaafe hat in diefen Malereien das Spiegelbild der damaligen religiöfen
3 1 er" Empfindung, vor allem der RlChtung der Myftiker erkannt. In den Bildern
lebt ein religiöfes Gefühl, das weit über das Mafs kirchlicher Frömmigkeit
hinausgeht und dem innerften Bedürfnifs des Herzens entfpringt. Mögen die
Myftiker, die nGottesfreundeu, das hohle F ormelwefen in der Lehre, die kirch-
liehen Mifsbräuche, das unfittliche Leben der Geifllichkeit tadeln, fo fehen
fie doch das Heil nicht in reformatorifchem Eingreifen oder in äufserer Werk-