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Buch.
Zweites
Periode.
Abfchnitt
noch eine Goldfchmiedsarbeit mit emaillirten Figuren als eigentliches Vorbild
erkennen. Eines der früheiien und fchönPren Beifpiele folcher Altarauffätze ift
Wßglgägillßr- derjenige in der Weftminiter-Abteikirche zu London, ehemals ohne
Zweifel auf dem Hochaltar, jetzt im füdlichen Seitenfchiffe und zur Hälfte
verdorben. Er entfpricht völlig den franzöfifchen Arbeiten vom Anfange des
14. Jahrhunderts und beiieht aus einer reichen Holztäfelung in mehreren Ab-
theilungen mit plaftifcher Decoration und Vergoldung fowie Malereien auf
einem aufgeklebten Leinwandgrunde: den Geftalten von Chriitus, Maria, den
Apofteln Johannes, Petrus und Paulus unter gothifchen Arcaden und ver-
fchiedenen Scenen aus dem Evangelium in kleineren fternförmigen Feldern 1).
Dabei wuchs fortwährend die Neigung zu frommen Stiftungen von Seiten der
Einzelnen wie der Corporationen, neben den Hauptaltären wurden auch die
Voiivbilder- Altäre zahlreicher Capellen gefchmückt, zudem fanden auch Votivbilder auf
einzelnen Tafeln, namentlich Epitaphe über den Grabftätten beftimmter Fa-
milien, ihren Platz in den Kirchen. Endlich wurden auch, in einfacherer Weife,
{r liigfellrf die Möbel bemalt, wovon ein um das Jahr 1300 entftandener Schrank in dem l
Schatze der Kathedrale von Noyon mit Heiligengeftalten auf gemufiertem
farbigem Grunde aufsen und Engeln innen auf den Thüren ein fchönes Bei-
fpiel ift2). Denfelben Brauch werden wir in Italien wiederfinden. Von hier
aus War nur noch ein Schritt bis zur Decoration der gefammten Täfelung
eines Raumes mit Gemälden, wie wir fie fogleich in der Burg Karlftein kennen
lernen werden. Staffeleigemälde in unferem Sinne, die beliebig an der Wand
aufgehängt wurden, kannte das Mittelalter dagegen nicht.
Technik. Die Holztafeln wurden mit forgfältig bereitetem Kreidegrunde, oft über
einer Leinwandunterlage, überzogen. Das Bindemittel der Farben war nicht
Oel, das man zwar in der Malerei kannte, aber wegen fchweren Trocknens
nur bei Anfireicherarbeiten zu verwenden püegte, fondern Tempera. Das
Twnpera- Wort Tempera bedeutet eigentlich nur Bindemittel überhaupt, und die Tem-
peramalerei ward in verfchiedenen Proceduren geübt; in Italien wurden die
Farben mit Eigelb und Feigenmilch gemifcht, dieffeits der Alpen, wo man
Letztere nicht zur Verfügung hatte, verwendete man, nach vorhergehendem An-
reiben der Farben mit Leimwaffer, gewöhnlich Eigelb und Honig, der den
Vortheil bot, das zu rafche Trocknen zu verhindern, auch wohl mit einem
Zufatze von Wein oder Bier. Diefe Technik machte eine fiüffige, zart ver-
treibende Behandlung möglich, und während die italienifche Temperatechnik
gröfsere Kraft in den Schatten zuliefs, wirkte die nordifche im Ganzen hei-
terer und war leuchtend genug, um {ich neben dem glanzvollen Goldgrunde
zur Geltung zu bringen. Ein Firnifs, der fchützte und zugleich die Leucht-
kraft erhöhte, kam hinzu3). Verfchiedene Schulen und Werkftätten hatten
dabei ihre eigene Methode, die fie als Geheimnifs behandelten; Recepte wurden
aufgefchrieben und als Werthvoller Befitz vererbt.
Die Tafelbilder aus dem Anfange des I4. Jahrhunderts lind noch ziemlich
I) Dictionnaire du mobilier frangais, I. S. 234, mit Abbildungen.
z) Viallet-Ze-Dzzc a. a. O. I. S. 9, mit Abbildung,
3) Ueber Malteclmnik des Mittelalters: Charles Lozle Eaxtlake: Materials for a history of oil pain-
ting, 2 vol. London 1847, 1869.