Das fpäte Mittelalter.
Miniatu rmal erei.
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Anjou, Königs von jerufalem und Sicilien, vom Jahre 1390, und dem zwei- Pfalrer des
bändigen Brevier von Belleville1), wo zugleich eine ausführliche Erklärung Iifäizriisgs
diefer Dar-Prellungen dem Texte vorangeht. 135321035,
Beide Werke, von denen das letztere fpäter auch dem Herzoge von Berri Benevmm
gehörte, zählen zu den köfilichfien der ganzen Epoche und {ind in ihrem Bilder-
reichthum unerfchöpilich. Beim kleinften Mafsfiabe find die Gefialten zierlich
und ausdrucksvoll, die Köpfe trefflich modellirt und voll individuellen Lebens.
Die Malerei in Deckfarben ift klar, zart und doch gefättigt, nur mitunter ge-
rathen Blau und Zinnober noch zu undurchüchtig und laffen keine wirkfame
Schattirung zu. Die Auswahl der Gegeniiände ifi oft eine höchft eigenthüm-
liche. Im Brevier von Belleville find, was das Vorwort gleichfalls erläutert,
unter den fieben grofsen Initialen des Pfalters die Sacramente und feitwärts
die fieben Tugenden und die lieben Todfünden dargefiellt. Im Gebetbuch
Ludwigs von Anjou?) zeigt das Dedicationsbild den Herzog mit Krone und
im Nachthemd im Bette, wie er, umgeben von Hof-
leuten, das Buch von einem Geiftlichen empfängt; I7 (H;
kleinere biblifche Bilder füllen den Rahmen. Noch i"?
mehrmals kommt der Fürit, ftets mit entfchiedenem 9'"
Porträtcharakter, vor. Aufser der Todtenfeier fleht man f]
am Ende auch eine Darfiellung der damals in der Litte-
ratur eingebürgerten nmoult merveilleuse et horrible lgllill
histoire que len dit des 3 mors et des 3 ViSu_ Die drei
Todten treten als ihre Spiegelbilder den drei Lebenden,
unter welchen der Herzog felbfl kenntlich ift, gegen- .4
über. l "w,
Alles aber übertrifft noch das Officium beatae Fig 10T Omcium b.
Mariae virginis in der Bibliotheque Mazarine zu Paris Aus dem Grandes Heures Bxjggtiaiäue
(753), deffen Herkunft leider nlCht fefifteht, in dem aber des Herzogs von Berri. Malarine-
auch das Drei-Lilien-Wappen des Königshaufes vor-
kommt. Die fchreibenden Evangeliiien fxnd echte Charaktere; St. Marcus zum
Beifpiel erfcheint als ein behaglicher, alter geiiilicher Herr, der emfig, mit leife
mürrifchem Anflug bei feiner Arbeit fitzt. Die Gemächer, in denen iie Weilen, lind
vollendete Interieurs, gelegentlich mit einem Blick in das Nebenzimmer oder in
den Hof mit feinem Brunnen. Die lieben gröfseren Bilder aus der Marienlegende,
denen {ich dann David, die Kreuzigung, die Ausgiefsung des Geifies und die
Todtenmeffe anreihen, fmd ftets von ganz kleinen Nebenbildern, Welche die
Compoütion vervollftändigen oder die Erzählung fortfetzen, ulmfchloffen. Das
lieblichfte ift das erfte, die Verkündigung. Auf einem der zugehörigen elf Neben-
bilder fitzt Maria fpinnend neben jofeph auf der Gartenbank, und zwifchen
diefen Bildchen, die {ich wie Blumen am Rande öffnen, fchweben Engel mit
Spruchbändern, während andere Engel von oben Blumen (treuen. Geberden
und Stellungen der fchlanken Geftalten lind ftets von unnachahmlicher Grazie
und Hingebung, die holden Köpfchen mit dem Prrohgelben Haar athmen eine
füfse, minnigliche Anrnuth, wie wir f1e in den Tafelbildern der Kölner Schule
I) Paris, Bibl. nat. lat. 18m4; lat. 10483, I0484_
2) flzunplzrtys, Taf. XIII: Blatt mit der Beweinung Chriüi.