Das
Mittelalter.
1' piite
Miniaturmalerei.
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Vorflufen aus der erften Zeit des I3. Jahrhunderts find der für die Mutter Uelucrgangs-
des heiligen Ludwig angefertigte Pfalter in der Bibliothek des Arfenals zu wcrke"
Paris, mit lebhaftem Affecte, zeichnender Behandlung und Goldgrund 1), dann
ein Pfalter in Venedig 2) und ein anderer in der Nationalbibliothek zu Paris
(lat. 238),'in welchem gröfsere Compofitionen, etwa der Tod Mariais, noch
in der alten ornamentalen Theilung ohne architektonifche Umrahmung ge-
halten find, in den Figuren aber fchon die Schlankheit und die Weichen Mo-
tive vorwiegen.
Vollkommen ausgebildet erfcheint dann der neue Stil, wie wir ihn vorhin Efalltiräles
charakterifirt haben, in dem Pfalter des heiligen Ludwig 3), deffen Bilder- 61' u wg
reichthurn bei gleichmäfsig zarter Vollendung ein {launenswerther ift, vom
Opfer von Kain und Abel an das ganze Alte Teftament bis zur Krönung
Sauls umfafst und dann den Darflellungen zu den Pfalmen in den Initialen
Raum gibt (Fig. 99). Hier bringen {ich zugleich Kriegs- und Hofleben des
I3. Jahrhunderts lebendig zur Geltung, die Auffaffung ift frifch und natürlich,
nur oft nicht draftifch genug, weil das Conventionelle des höfifchen Tones,
das überwiegend Zierliche und Gewählte im Benehmen die Kraft der Hand-
lung lahmen.
Ein diefem nicht gleichkommendes, aber durch feine Datirung bemerkens-
werthes Buch ift die im Jahre 1287 für den Abt Yvo von Cluny verfafste
nAbbfCVlEltlO figuralis historiae-i) aus einem der berühmteften franzöfifchen
Klöiter hervorgegangen, welche alfo noch neben denLaienwerkPcätten in
folchen Arbeiten thätig blieben.
In der Folge nimmt das Streben nach dem Zarten und Anmuthigen noch Seit Anfang
zu, feit dem Anfange des I4. Jahrhundents mildert {ich die faft fchreiende 14. (Ein-h.
Fröhlichkeit der Farben durch die Anwendung milderer, gebrochener Töne,
und wenn auch die fcharf zeichnende Technik erhalten "bleibt, regen {ich doch
fchon leife Verfuche in der Modellirung. Ein Prachtwerk diefer Richtung ift
das Schatzbuch der Frauenabtei Origny in der Picardie (Berlin, Kupfer- Scharzlguch
flichcabinet MSS. 3,8) h), 1312 irn Auftrage der Aebtiffin Heloife de Conflans
begonnen, mit 54 Bildern aus der Legende der heiligen Benedicta, Patronin
des KloPters. Die Glieder {ind übertrieben mager, namentlich die Handgelenke
oft unnatürlich dünn, Augenverdrehung und Heraufziehen der Brauen über-
fchreiten in Momenten des Affectes alles Mafs, aber eine liebenswürdige Grazie
der Empfindung wiegt viele Mängel auf. Bis auf das in Flächen hingefetzte
Zinnoberroth find die Töne meift zart und gebrochen, die Fleifchtheile zeigen
röthliche Schattirung. Innerhalb der einfachen Umrahmung wird der Grund
faft ausnahmslos durch Blattgold gebildet (Fig. 100).
Eine Gattung künftlerifch intereffanter Handfchriften, die {ich nun in
I) Theologie latine 165 B. Abb. bei Lacmix et Serri, Le moyen äge et 1a renaiffance.
z) Mareiana C1. I Cod. LXXVII.
3) Paris, Bibl, nat. Lat, 10525. Luhzrte Taf. 92 und H. N Hzmzplireys a. a. O. Taf. I0.
Die Scene, die der Text hier für Abrahams Opfer ausgibt, Rellt das Opfer der Tochter Jephthznfs dar.
4) Vaticana 3839. Seroux dDiigincourt, Taf. 70.
S) F. Salzwamz, in den Quartalblättern des Vereins für Literatur und Kunß zu Mainz, III, 1832,
Heft 2. Von Scllnaaj? VI, 507 einem KloPcer Sayeux zugefclarieben aus Milsverfiändnifs der Worte
vli eiglise de saiensu, foviel wie cians, idie Vhielige Kirche.