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Buch.
Zweites
Periode.
Grenzen des Ausdruckes, die wir kennen lernten, auch da kaum überfchritten.
S0 fehr die Maler auf Anfchaulichkeit ausgehen, fo gelingen ihnen doch die
dramatifchen Handlungen, die Situationen, welche entfchloffene T hatkraft
fordern, weit minder, als diejenigen, in denen {ich ein reines Stimmungsleben
entfaltet.
Humor. Neben dem Sinne für das Anmuthige tritt zugleich die Neigung zum
Schalkhaften und Launigen auf; wie die ritterliche Dichtung wird auch die
Thierfabel zum Stoffe; manche Motive aus dem täglichen, bürgerlichen Leben
kommen hinzu. Oft nur an befcheidener Stelle, aber keck und lebendig wagen
{ich folche Einfälle hervor, und felbft phantaftifche Gebilde verlieren jetzt das
Gepräge des Dämonifchen, das durch das Spiel des Humorsverdrängt wird.
vgizräfä; Die Blüte der gothifchen Architektur war mit dem I 3. Jahrhundert vorüber,
gen. und foweit die Malerei unmittelbar im Dienite der Baukunft Iteht, kann man
von ihr daffelbe fagen. Davon abgefehen aber erfcheinen die Wandlungen,
welche {ie feit dem I4. Jahrhundert erfährt, keineswegs als Entartung, fondern
zugleich als Schritte zu einer neuen Entwicklung. Allerdings nimmt mit der
Iäätjfgirelfä" fpäteren Gothik die Handwerksmäfsigkeit zu. Schon die architektonifchen
Stilbedingungen arbeiten diefer in die Hände, {ie verlangen die plaftifche und
malerifche Decoration in fo verfchwenderifcher Fülle, dafs nur fchnellfertige
Arbeit diefen Anforderungen genügen kann, und bannen die Malerei dabei
in fo enge Umrahmungen, dafs {ie nicht immer eine freie künitlerifche Selb-
{tändigkeit zu gewinnen vermag.
P1352333?! Ferner fteigert {ich die Neigung zum Schlanken und Weichen bis in das
Uebertriebene. Auch hierauf war die gothifcheArchitektur, deren Höhentendenz
immer einfeitiger hervortrat, die in conftructive Spielereien, in eine Neigung
zum Leichten und Eleganten bis zur Verilüchtigung der Maffen veriiel, von
Einflufs. Da wird die zarte Biegung der Geftalt zur unnatürlichen Krümmung,
der Ausdruck, der {ich zum Milden und Zarten neigte, wird weichlich und
fentimental. Die Ausartung der höfifchen Sitte, das Ueberreizte und Gezierte
im Leben finden, wie in der Dichtung, fo auch in der Kunft ihr Widerfpiel.
Anfänge des Endlich entfaltet fich auch der fchon vorhandene Keim zu realiftifcher
Realismus" Auffaffung. Die Künftler wagen bereits dreifiere Griffe in die Natur und die
Wirklichkeit, ja es beginnen jetzt die erften Verfuche zu individueller Auffaffung,
befonders in den Zügen des Gefichtes. Wo Plaftik und Malerei im Dienfte
der Architektur ftehen, tritt damit gewöhnlich nur eine gefteigerte Verderbnifs
des Stiles ein; mit den übertrieben weichlichen, allzufchlanken Bildungen
können folche naturaliftifche Regungen {ich nicht harmonifch verbinden.
Auch tritt der Naturalismus nur unzufammenhängend auf und beruht zu wenig
auf wahrer Kenntnifs der Natur, um es zur Selbiiändigkeit zu bringen. Immer-
hin bereitet er den vollfiändigen Umfchwung der nächften Epoche vor, und
auch die Lockerung des Verhältniffes zwifchen der Malerei und der Baukunft
hat ihren Vortheil, denn jene lernt dadurch ihre eigenen Stilbedingungen ahnen.
In der zweiten Hälfte des I4. Jahrhunderts tauchen dann wieder die erften An-
fange wirklich malerifcher Auffaffung auf, deren Begriff ganz verloren gegangen
war: die erften Verfuche, über den Eindruck der Fläche hinauszugehen, die Ge-
{ialten wirkungsvoll zu modelliren und fie zur Umgebung in Verhältnifs zu
fetzen.