Mittelalter.
fpäte
Das
Vorbemerkungen.
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fchen Steinmetzen Villawl de Hoßmecouri (Paris, Bib. nat.) einen Beleg 1). Von Villard de
wirklichem Actzeichnen, von eigentlichem Studium des Nackten iPc nicht die Honmou"
Rede; hat man ein lVlodell vor fich, fo gelangt man doch nur zu einer fehr
unvollkommenen Wiedergabe deffelben. Die Tradition bleibt immer noch
ein willkommener Vermittler; vorhandene Kunftwerke werden in den Reife-
fkizzen feftgehalten, aber daneben richtet fich auch das Auge auf die Natur.
Bei einem Löwen, der uns fehr heraldifch vorkommt, Pceht eigens dabeige-
fchrieben: nUHCl wohl zu merken: der iPc nach dem Leben gezeichnetß Auch
fonft find Thiere nach der Natur dargeftellt, einzelne Geitalten oder Gruppen
aus der XVirklichkeit feftgehalten. Aber die Form ift niemals bewältigt, das
Individuelle nie erreicht.
Als Erfatz für die wirkliche Kenntnifs der Form dienen die Proportiona- Auffaifung
lität und die Eurhythmie, durch welche man die Gefialten dem Auge gefällig desliorpers"
zu machen fuchte. Von den Mafsverhältniffen der byzantinifchen Kunft, die
immer nur fchwankend und unficher nachgeahmt worden waren, machte man
fich aber unabhängig. Aus Villards Skizzenbuch erfehen wir, dafs das Hinein-
zeichnen der Geiialten in befiimmte geometrifche Figuren, Dreiecke oder
Kreisfegrnente, zu einer bequemen Formel wurde, um die Verhältniffe der
Körpertheile, das Mafs der Bewegungen, den Aufbau der Gruppen zu con-
ftruiren; ein Mittel, durch deffen Anwendung auch der minder Gewandte es
immer noch zu einer relativ befriedigenden Wirkung brachte. Selbft in der
Darftellung des Nackten verfchwinden die Häfslichkeit und Roheit der vorigen
Perioden, wenn fie auch noch immer unzulänglich bleibt. Aber da die Ge-
wandhguren bei weitem überwiegen, kommen die Künfiler, die das Gerüft
des menfchlichen Körpers nur von ungefähr kennen, doch mit ihrem dürfti-
gen Verftandnifs einigermafsen aus. Die Geftalten gewinnen durch die Klei-
dung; die trockene, fchematifche Wiedergabe antiken Faltenwurfes ift aufge-
geben und hat einem angenehmen Fluffe der Linien, einer fchwungvollen An-
ordnung der Maffen Platz gemacht. Noch mehr als die Form wird aber die Ausdruck.
Bewegung der Natur abgelaufcht. Der Kopf neigt fich leife, die Glieder löfen
fich, der Oberkörper bewegt {ich in den Hüften, fo dafs oft die Haltung
etwas zart Gefchwungenes erhält. Aber immer überwiegt das Weiche, fanft
Fliefsende, wie ja auch der Ausdruck, den der Künfiler erftrebte, nicht der
eines thatkräftigen Selbfibewufstfeins, fondern der einer milden Innigkeit, einer
zarten Befcheidenheit war.
Gerade hierin prägt fich die Sinnesweife der ritterlichen Bildung aus, Ritterlielie
Welche auch auf andere Stände ihren EinHufs übte, befonders das VorherrfchenGefuhlswelrci
des frauenhaften Elementes in einer Zeit, in welcher Waffenfreudigkeit und
Minnedienft verknüpft waren, und felbft der religiöfe Sinn im Mariencultus
den Charakter fchwärmerifcher Frauenminne annahm. Ja die bildlichen Dar-
Prellungen felbft werden immer mehr zum Spiegel des ritterlichen Lebens.
Dadurch ift fogar den heiligen Gegeniländen oft ihr traditioneller Charakter
genommen. Daneben wird aber auch das profane Leben zum Stoffe. Das Gciiggg-äisde
ganze Reich, über welchem Frau Aventiure waltet, der Inhalt der Chansons de
gestes und der Fabliaux wird bildlich wiedergegeben... FfCiliCh werden, die
Laxsm u.
I) Herausgegeben von
Darcel:
Album de Villard
Honnecourt.
Paris
1858.