Das fpiite Mittelalter.
Vorbemerkungen.
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wandten Gewerbe aneinander an, um ftärkeren Corporationen nicht nachzu-
Ptehen. Zur Malergilde traten dann oft auch Bildfchnitzer, Tifchler, Pergament-
macher, Goldfchläger, Goldfchmiede u. f. w., oder wenigftens einige von diefen.
Mitunter, wie in Bafel, gehörten auch die Barbiere dazu.
S0 lange diefe Corporationen nur Bruderfchaften waren, hatten fie ihren
Altar in einer beflimmten Kirche, feierten gemeinfam kirchliche Fefte und
Leichenbegängniffe. Aber in der Bruderfchaft lag bereits der Keim der Zunft,
der fich dann fortbildete. Die Zünfte wurden zu Corporationen mit beftimmten
politifchen Rechten und Pflichten, wie der Wehrpflicht, vor allem aber mit
eigener Gerichtsbarkeit in Sachen des Handwerkes 1). Die einzelnen Gewerbe
waren verbunden, doch fie griffen nicht in einander über. jeder Meifter be-
trieb unter dem Beiftande feiner Gefellen die Technik, die er gelernt hatte,
und erzog in diefer feine Lehrknaben. Uebergriffe wurden nicht geduldet
und kamen nur als Ausnahme vor. Die technifche Tradition war eine fefte
und fichere, fie kam auch dem Schwächeren zugute, gewährte aber zugleich
dem Begabteren die folide Grundlage. Da die Handwerke Corporationen ein-
zelner Städte waren, bildeten fich allmählich beilimmte locale Schulen, doch
ihrer einfeitigen Abfchliefsung gegeneinander beugte. der Brauch des Wanderns
bei den Gefellen vor. Auch die bedeutenderen Meifter blieben nicht immer
an die Scholle gefeffelt, oft nahmen Fürften fie in ihren Dienft und gaben
ihnen eine Stellung an ihrem Hofe, wodurch fie mitunter von der zünftigen
Gebundenheit unabhängig wurden. Aber wefentlich hatte doch die Kunft im
ftädtifchen Leben ihre Wurzeln, deffen materielle und politifche Entwicklung
ihr Gedeihen förderte.
Ein hieratifcher, priefterlicher Stil hatte bisher nicht blofs die byzanti- Neuer-Stil.
nifche, fondern bis zu einem beftimmten Grade auch die abendländifche Kunfl;
beherrfcht. ]etzt aber begann das allgemeine Bewufstfein neben der kirch-
lichen Vorfchrift und der Ueberlieferung auch der eigenen Auffaffung des
Künftlers eine gewiffe Berechtigung zuzugeftehen." Schon Durandus, Bifchof
von Mende in Südfrankreich, deffen nRationale divinorum ofiicioruma für die
Begriffe von kirchlicher Kunft im I3. Jahrhundert mafsgebend ift, fpricht die
bezeichnenden Worte aus: nVerfchiedene Darltellungen aus dem Alten wie
dem Neuen Teflamente werden dem Willen der Maler gemäfs gemalt, denn
(hier citirt er Horaz):
pietoribus atque poetis Quidlibel audendi semper fuit aequa potestasih.
Noch immer bildeten die religiöfen Gegenflände überwiegend den künft-
lerifchen Stoff; den Schmuck des Kirchengebäudes fah der Maler ebenfo wie
der Bildhauer als feine wefentliche Aufgabe an. Er fchuf, unter dem Ein-
Huffe der theologifchen Vorllellungen, noch immer umfaffende Bildercyklen von
grofsartiger Raumfymbolik. Aber innerhalb diefer Grenzen durften die KünPrler
jetzt felbilzändiger verfahren. Eine in unferem Sinne individuelle Auffaffung
finden wir freilich nicht. Nirgend fteht das Werk als der perfönliche Aus-
druck eines beflimmten Künftlergeifles da. Noch immer verfchwindet die Per-
fönlichkeit des Schaffcnden hinter der Leiftung. Künftlernamen kennen wir
I) Das Buch der Malerzeche in Prag, herausgegeben v. M Pangerl, Quellenfchriften für Kunft-
gefchichte XIII, Wien 1878, S. 13: Die Bruderfchaft und ihre Entwicklung zur Zunft.
2) Lib. I, cap. 3. Citirt von Didron, annales arch. II, S. 24.