Die iigyptifche Malerei.
tafeln bezeichnen und fagen konnte: "Nicht mehr Farbenmufik, fondern Farben-
rhetorik wird hier aufgeführt." 1)
Dafs bei folcher Sachlage vom Standpunkte einer völlig ausgebildeten, Grenzen des
felbfiändigen, ihrer Fähigkeiten und ihrer Ziele fich bewufsten Malerei in Be- mgläpfffgf"
zug auf diefe wirklichen oder quasi Flächendarftellungen von einer malerifchen Aegypter"
Technik und von einem malerifchen Eindruck keine Rede fein kann, können
wir fagen, noch ehe wir die Werke auf ihre Farbengebung hin angefehen
haben. Um zunachft bei der Formengebung ftehen zu bleiben, müffen wir
von der Betrachtung der Compofition zur Betrachtung der einzelnen Motive
und Umriffe übergehen.
Von dem Typus der ägyptifchen Geftalten ift im Allgemeinen fchon die Formen-
Rede gewefen. In der Malerei können wir jedoch jenen älteflen, naturaliitifchen gebimg"
Stil der Plaftik nicht verfolgen. Hier, wie an den ihr gleichzuftellenden Schein-
Reliefs tritt uns vielmehr jener Kanon mit dem bereits angedeuteten Ent-
wicklungsgange von Anfang an bis zuletzt entgegen. Die flachen Reliefdar-
Itellungen aus der Zeit des alten Reiches bis zur fechften Dynaftie flncl zwar
ebenfalls noch freier, willkürlicher und realiftifcher; aber fie nehmen an manchen
Befonderheiten der ägyptifchen Flächenbildnerei doch bereits theil. Zu diefen
Befonderheiten gehört bei der Zeichnung jeder einzelnen Geftalt neben allen
fonitigen Steifheiten noch die ebenfalls aus dem mangelnden perfpectivifcherl
Gefühl und dem Streben nach Deutlichkeit {ich ergebende, Prörende Unzu-
länglichkeit, dafs die Front- und Profilaniichten nicht fcharf von einander unter-
fchieden werden. Die Köpfe mit ihren Perrücken, ihrem wunderbaren Kopf-
putz und ihren oft angebundenen fteifen Bärten, fowie die Unterkörper iind
faft immer in filhouettenartiger Profililellung gebildet, wogegen die Bruft fich
in ganzer Breite wie von vorn präfentirt. Es entfleht dadurch eine Verdrehung
des Körpers, die dem gefchulten Auge unangenehm auffällt.
In der Annahme des mathematifchen Kanons liegt ferner fchon von felbft Kanon.
die Ausfchliefsung jeder individuellen Charakteriitik. Kann man doch in der
Regel nicht einmal das Alter von der Jugend unterfcheiden! Doch erftreckt
fich diefe Gleichförmigkeit nicht auf eine Vermifchung der Raffenunterfchiede.
Vielmehr erhalten die verfchiedenen, den Aegyptern bekannten Völker ihre
eigene, deutlich ausgeprägte Typik, und die Neger unterfcheiden fich, auch
abgefehen von der Farbe, ebenfo charakteriftifch von den Aegyptern, wie die
Afiaten. Eine intereffante Zufammenitellung folcher verfchiedenen Raffen findet
flCh in einem Königsgrabe des neuen Reiches. Auch hat man freilich mit
Recht darauf aufmerkfam gemacht, dafs man, je länger man {ich mit der
ägyptifchen Kunft befchäftigt, defto befferlernt, verfchiedene Züge unter den
beim eriten Anblick fo gleichförmigen Phyfiognomien zu unterfcheiden. Wer
jemals einer gröfseren Anzahl von Chinefen, Negern oder Malayen gegenüber
gefianden, weifs, dafs diefe einander für den erften Anblick bis zur Unter-
fcheidungslofigkeit ähnlich zu fehen fcheinen. Erft mit der Zeit lernen wir
ihre individuellen Züge zu unterfcheiden. jedoch wird {ich diefes nur in Bezug
auf die Königsporträts der ägyptifchen Kunit bewahrheiten. Die Maffe der
demfelben Stamme angehörigen Individuen zeigt doch wirklich diefelben gleich-
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