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Zweites Buch.
Periode.
Erfter
Abfchnitt.
fcenen, Kämpfen, Ritterleben trotz manchen Ungefchickes ein dreiftes Zu-
greifen, ein Streben nach Anfchaulichkeit und eine überrafchende Geberden-
fprache zeigen. 1) Eine Ausfchmückung profaner Dichtungen in folchern Stile
wurde jetzt immer häuüger.
Ein höchfl productiver Schreiber, der feine Bücher offenbar felbft illuftrirte,
Kgä-ägiiräon war der Mönch Konrad in dem bairifchen Klofter Scheiern, deffen Codices in der
Münchener Bibliothek Wiederholt feinen Namen und gelegentlich fogar feine
bildliche Darftellung enthalten?) Er war unter Abt Konrad (1206-1216),
aber auch noch lange nachher unter deffen Nachfolger Heinrich als Schreiber,
Illuminator und Goldfchmied thätig; in feiner Mater Verborum kommt die
Jahrzahl I24I vor. Konrad arbeitete keck darauf los, meift in grofsem Mafs-
ftabe, und pflegte feine dilettantifchen Federzeichnungen nur leicht zu colo-
riren, aber er zeigte fich einerfeits im Befitze der überkommenen Typen und
ift andrerfeits eigener glücklicher Einfälle fähig. Das wichtigfte Buch, ein ganz
grofses Liber matutinalis 3) (Lat. 17400) enthält feierliche Compofitionen: den
Drachen und das apokalyptifche Weib, die Kreuzigung, den Sieg über die
Ketzerei, dann aber zwei Bildercyklen zu populären Legenden nicht eben
ftreng kirchlichen Charakters, die dann auch in den franzöfifchen aMiracles
de la viergen wiederzukehren pflegen: Die Gefchichte von der ftrengen Aeb-
tiffin, die doch felbft dem Verführer unterliegt, aber vor der Schande durch
die Hilfe der Madonna bewahrt wird, welcheihre Engel zur Entbindung und
zur Unterbringung des Kindes fendet; dann die Legende von Theophilus, der
fich wegen einer Zurückfetzung durch den Bifchof dem Juden überant-
wortet und dem Antichrift ergibt, aber mit dem Teufel in Conflikt geräth, weil
er von der Wohlthätigkeit nicht laffen kann, und fchliefslich feine Verfchreibung
an den Böfen durch die Mutter Gottes zurückerhält und ein feliges Ende findet.
Für folche Erzählungen gab es keine älteren Mufter, und fo fand denn Konrad
in breiter, anfchaulicher, oft unfreiwillig launiger Darftellung höchft naiv feinen
Weg. Merkwürdig fmd auch die Historia Scholastica des Petrus Com-
mestor (lat. 17405) und die Mater verborum (lat. 17403), erftere mit Alle-
gorien der freien Künfte, letztere mit einer Darftellung der geiftlichen und der
weltlichen Mufik, denen in befonderen Umrahmungen Geltalten und Gruppen
wie Pythagoras, der harfefpielende David, Boethius und Guido von Arezzo
gefellt find, dann Allegorien von Tugenden und Laftern, die durch Beifpiele
aus dem Alten Teftament wie aus dem Heidenthum erläutert werden, alfo die
Cupiditas durch Cröfus vor Cyrus, Jefabel, Haman am Galgen u. f. w. Bei
repräfentirenden Gruppen nehmen die länglichen Geftalten mit engem Gefälte
in diefen beiden fpäteren Handfchriften oft einen ftarr-feierlichen Stil an; eine
ganz grofse, fymmetrifch mit dem Kinde thronende Madonna in der Mater
verborum erinnert an die hieratifche Auffaffung in den älteren franzöfifchen Glas-
gemälden, von denen fpäter die Rede ift. Dabei war Konrad von Scheiern
I) Beide Werke bei Ääagler a. a. O. von S. I2 an, mit Abbildungen,
z) Proben in Holzfchnitt bei Ifugler, K1. Sehr. I, 84, und Siglzarl, Gefch. d. bild. Kiinfie in
Bayern S. 274. Ueber Konrad vgl. Mon. Germ. SS. XVII, S. 613 ff.
3) So wird es genannt, mit dem bezeichnenden Zufatze "magnus et plenus", in der Notiz „De
codicibus a Chounrado Schirenü exaratis" Mon. Germ. a. a. O. Die jetzt übliche Bezeichnung "Evan-
geliarium. et lectionarium" ift unrichtig und bezieht sich am angeführten Orte auf ein anderes Buch.