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Zweites Buch.
Periode.
Erüer Abfchnitt.
und deren ornamentaler Reichthum alles aufbietet, was die Zeit vermag. Aber
ebenfo wie auf früheren Stufen bleiben noch in der Blütezeit des romanifchen
Stiles, feit Mitte des I2. Jahrhunderts auch folche Codices beachtenswerth,
die mit blofsen Federzeichnungen in Schwarz und Roth, ftellenweife in flüch-
tiger, dünner Colorirung ausgefiattet find. Wenn auch oft recht dilettantifch,
lind [ie dennoch als leichte Improvifationen voll kecker, bewegter Züge be-
fonders merkwürdig. Gerade das füdliche Deutfchland war in folchen Leiftungen
CgilsiicfiäleaxuspfOdLlCtlV. Dahin gehören zunächPc die Handfchriften aus dem Klofter Zwi-
falten am Fufse der fchwäbifchen Alp, in der öffentlichen Bibliothek zu Stutt-
gart, unter denen nur ein Brevier (Brev. 4. Nr. 125) in Deckfarben ausgeführt
ift. Ein dreibändiges Pafiionale, 1) unter Abt Conrad (1169-1193) gefchrieben,
enthält wild-phantaftifche Initialen in Federzeichnung und zahlreiche gröfscre
und kleinere Darftellungen, bei denen gelegentlich etwas Farbe angewendet
ift. Auffallend iPt hier aber das monumentale Stilgefühl, verbunden mit der
Fähigkeit, architektonifche Anfichten gut wiederzugeben. Erfteres nimmt man
dann auch in den fchwarzen und rothen Federzcichnungen des Chronicon Zwi-
faltenfe (HiPc. Fol. 415) wahr. So fiellt ein grofses Blatt die Schöpfung dar,
Gott thront im Centrum, ihn umgibt ein Ring, den fechs Medaillons mit den
Schöpfungstagen fchmücken. Ringsum find der Sturz der böfen Engel, Michael
als Sieger über den Drachen, der über den Rahmen hinausreicht, und unten
der Höllenrachen fowie Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradiefe zu
fehen. Die nächfte Seite enthält die fonft bei Fufsboden-Mofaiken beliebte
Figur des Jahres, umgeben von Thierkreiszeichen und Darftellungen der Monate,
der Jahreszeiten, der Winde. Unter den fpäteren legendarifchen Bildern fällt
namentlich der rieflge löwenköpfige Chriitophorus auf, der zwei Thürme, aus
welchen Menfchen ihn anftaunen, überragt und feine Füfse gerade durch zwei
Thore fchieben kann.
Dafs auch in diefer Technik ein reiner Stil und eine forgfältige Ausfüh-
Lßggnde dcrrung möglich waren, zeigt die Legende der heiligen Lucia in Profa und in
heilgfgffia" alkäifchen Strophen, verfafst von Sigebert von Gembloux, der in der zweiten
Hälfte des 11. Jahrhunderts Scholafter im St. Vincenzklofter zu Metz war,
und gefchrieben gegen Ende des 12. Jahrhunderts in demfelben Klofter (Berlin,
Kupferftichcabinet, MSS. 52). Aufser Scenen aus der Legende der Lucia ent-
hält das Buch die Darftellungen der klugen und der thörichten Jungfrauen
auf zwei verfchiedenen Seiten, über jeder Gruppe den Bräutigam in der Herr-
lichkeit, neben der zweiten Scene den knieenden Schreiber Bruder Rodzzlüzs.
Edle fymmetrifche Compofition vereinigt {ich hier mit Bewegungen voll Mafs
und Ausdruck (Fig. 81). '
Erft aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts rühren zwei berühmte Hand-
fchriftcn mit deutfchen Dichtungen in der Berliner Bibliothek her, des Pfaffen
Wcrnhervonwefnhef von Tegernfee vLiet von der Mageta, mit vielfach alterthümlich
[liegendem flzrengen, oft aber zugleich gezierten, in Extremitäten und Gewandung ver-
fchnörkelten Zeichnungen, aus denen aber oft Selbftändigkeit der Auffaffung
Encidt. und fogar anmuthige Empfindung reden, dann die Eneidt des Heinrich von
Veldegk (Ms. Germ. F01. Nr. 282), deren Umrifs-Darftellungen von Liebes-
Bibl.
F01.
Proben bei
lmgler, kl.
Schriften,
55 ff.