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Zweites Buch.
II. Periode.
Erfter Abfchnitt.
liche Darftellungen, die Krönungen an den Seiten jedes Bogens werden durch
fymmetrifche Vögel oder noch häufiger durch Allegorien der Tugenden, als
Frauengeftalten oder Figuren in ritterlicher Rüftung, gebildet; manchmal be-
fiegen diefelben die Lafter; fo fticht der Glaube, eine heroifche, faft nackte
Geftalt, das Heidenthum nieder. Hierauf folgt ein Widmungsblatt, oben die
feierliche Madonna mit dem Kinde zwifchen Johannes dem Täufer und Bar-
tholomäus, unten die Schutzheiligen von Braunfchweig, Blafius und Aegidius,
welche Herzog Heinrich und feine Gemahlin Mathilde bei der Hand führen.
Vor jedem Evangelium befinden {ich zunächft mehrere Seiten mit Bildern aus
dem Neuen Tefiamente, meift je zweien, in reichen Umrahmungen mit Eck-
medaillons, die gewöhnlich Perfonen des Alten Teitarnentes oder Symbole, wie
Pelikan und Phönix bei der Grablegung und den Marien am Grabe, enthalten.
Dann folgt der Evangelift mit feinem Symbol, meift in ausdrucksvoller Gruppi-
rung; fo kniet der Engel, faft nackt, vor dem Matthäus und reicht ihm das
Buch dar. Den Anfang des Textes bilden ftets mehrere Seiten mit verzierter
Schrift, prächtiger Farbe und fchönen Initialen. Bei der Kreuzigung ftehen
auch hier Kirche und Synagoge unmittelbar neben dem Kreuze. Das drittletzte
Bild, vor dem Johannesevangelium, zeigt, inmitten ihrer Vorfahren, Heinrich
und Mathilde, welche die Kronen des Lebens empfangen; in der oberen Ab-
theilung Chriftus in der Glorie zwifchen Engeln und Heiligen. Auf dem
nächften Blatte erfcheint der Heiland in der Mandorla zwifchen den Evange-
liftenfymbolen und fechs Kreifen mit Darftellungen der Schöpfungstage. Die
Momente find gut gewählt, die Compofitionen felbftändig, und bei gröfserer
Figurenzahl klar. Da fie nie in die Tiefe gehen, fondern die Geftalten meift
in einer Fläche ftehen, fallen die perfpectivifchen Mängel nicht auf. Die
fchlanken, mafsvoll bewegten, doch niemals fteifen Figuren find fogar im
Nackten ungewöhnlich gut, nur die Fufse erfcheinen fchwächer; die Gewan-
dung ift einfach und edel, die Köpfe find von glücklicher Bildung, wenn auch
ganz typifch. Die modellirende Gouachemalerei zeigt vollendete Gleich-
mäfsigkeit und fatte Kraft.
Evangelia- Dafs diefer Codex in jenen Gegenden nicht vereinzelt daftand, wenn er
1211331. auch der fchönfte erhaltene ift, beweift ein Evangeliarium mit den Evangeliften
f"hw'e'g' und einzelnen biblifchen Bildern aus dem Braunfchweiger Dome, jetzt im Mu-
väägläiecrh feum dafelbft. Wenn wir erwägen, welchen Auffchwung die monumentale Plaftik
111mm. damals in Sachfen nahm, werden uns auch folche Leiftungen der Malerei nicht
überrafchen. Freilich ftehen die Werke der damaligen Sculptur immer noch
auf einer relativ höheren Stufe als diejenigen der Malerei. Es gehört eine
weit gröfsere Abftraction dazu, das Bild eines Gegenftandes in die Fläche zu
übertragen, als ihn plaftifch nachzuahmen. Von einem Bildhauer und einem
Maler des Mittelalters, die an Talent und Ausbildung auf gleicher Stufe ftehen,
wird der erftere ftets verhältnifsmäfsig Befferes zu leifien im Stande fein. Die
Schwächen des Formgefühls und der Kenntnifs des Körpers find bei beiden
in gleicher Weife empfindlich, aber bei dem Maler tritt noch der Mangel der
befonderen Kenntniffe, die fein Fach verlangt, namentlich der Perfpective,
hinzu.
fgfeläird Eine weitere Stufe bezeichnen dann die Handfchriften aus dem Schluffe
n. Jahrh. des 12. und den erften Jahrzehnten des I3. Jahrhunderts, für deren Stil der