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Zweites Buch.
Periode.
Erfter
Abfchnitt.
Schwaben. Saite zu fehen ift (Fig. 74). In diefen fchwäbifchen Landfchaften bleibt die
Malerei fogar noch im I2. Jahrhundert, felbft nach der Mitte deffelben, auf
einer ähnlichen Stufe, wie die Bibel des Abtes Frowin von Engelberg (1144-
1178)1) und ein Evange-liar aus Alspach im Oberelfafs 2) darthun. Wichtige
Haien. I-landfehriften. aus Baiern bewahrt die Münchener Bibliothek: das vom Abte
Ellzäzger von Tegernfee (1017-1056) gefchriebene Evangeliarium (lat. 18005),
mit dem dann noch ein zweites, in den architektonifchen Umrahmungen be-
fonders reiches (lat. 828) nahe übereinftimmt; ein Evangeliar aus dem Klofter
Niederaltaich bei Straubing (Cimel. 163), das durch ftrengere Form und forg-
fältige Ausführung hervorragt, während ein zweites aus demfelben Klofter
(Cimel. 142) durch die übertrieben langen Verhältniffe bei kleinen Köpfen,
den zähen, ftrichelnden Vortrag und die Abwefenheit von Gold erheblich
zurückfieht. Durch aufserordentlichen Bilderreichthum zeichnet fieh ein Anti-
phonar aus dem Benediktinerklofter St. Peter in Salzburg aus (Stifts-
bibliothek). Die Bilder wie die Initialen, in denen eine Fülle von Thiermotiven
aber auch Figürliches auftaucht, find theils in Federzeichnung auf farbigem
Grunde, theils in Deckfarbe, und dann meift auf Goldgrund, ausgeführt; die
Auffaffung ift fehr fchematifch, das Gefält eng, unfrei und abwärts gezogen.
Auf das Dedicationsbild, den thronenden Petrus zwifchen den Heiligen Rupertus
und Wolfgang nebft einer unteren Scene in kleinen Figuren, der Ueberreichung
des Buches durch den Abt, folgen mannigfache biblifche und legendarifche
Darftellungen. Der Gekreuzigte ifi hier nackt und ftark ausgebogen, unten, ihm
zunächft, ftehen die Kirche und die Synagoge, jene fein Blut in einem Kelche
auffangend, diefe ein Joch haltend. Die Bilder mögen wohl erft gegen Ende
des 11. Jahrhunderts entftanden fein 3).
Böhmen Selbft in dem Grenzlande Böhmen hat der romanifche Stil auf diefer Stufe
ein fo bedeutendes Werk hervorgebracht, wie das aus der St. Peter- und Pauls-
kirche auf dem Wifchehrad fiammende Evangeliftarium (Prag, Univerfi-
tätsbibliothek). Der Charakter deffelben entfpricht ganz den deutfchen Lei-
ftungen diefer Zeit, wie überhaupt Cultur und Kunft in Böhmen deutfch waren
und namentlich im Klerus das deutfche Element herrfchte. Dafs der Codex
wirklich in Böhmen entftanden ifi, geht daraus hervor, dafs gegen Ende der
heilige Wenzel in einer Initiale dargeftellt ift. Den Anfang macht ein Blatt
mit den vier Evangeliften unter Rundbogenarkaden; die vier nächften Seiten
mit Bruftbildern aus dem alten Teftamente und zuletzt dem des Heilandcs
find wie eine bemalte Felderdecke ftilifirt. Dann folgen Mofes vor dem Dorn-
bufehe, Aaron am Altar, ein reichgekleideter König vor einem romanifchen
Portale als Sinnbild der königlichen Abkunft Chrifti, die Wurzel Jeffe (der
Stammbaum Chrifti) und darauf 29 Bilder aus dem Neuen Teftamente, meift in
zwei oder drei Reihen auf einer Seite. Der bartlofe Chriitustypus ift durchweg
beibehalten, auch der heilige Wenzel, ferner Johannes der Täufer fmd bartlos
läaiern.
I) Stiftsbibliothek dafelbft Nr. I V3.
2) Stuttgart, öffent. Bibliothek Bibl. Fol. 7x.
3) Dr. Karl Lind in den Mitth. der Cent. Comm. 1869, S. 167, mit 26 Tafeln. In der Ofter-
tabelle ifl das Oflterfefl; für das Jahr 1064, dann aber erft fortlaufend feit 1092 berechnet, und diefes
Jahr wird ungefähr die Entftehung bezeichnen. Ueber die Verwerthuxig von Oftertafeln zur Datirung
vgl. Ferd. Pijmr, Karls des Grofsen Kalendarium und Oftertafel. Berlin 1858.