Volltext: Die Malerei des Alterthums (Bd. 1)

Das 
hohe Mitlelalter. 
Vorbemerkungen. 
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Baukunft wie in verfchiedenen Zweigen des Handwerks; zu denjenigen Fertig- 
keiten, die ihnen von früher her zu Gebote ftanden, eignen fie {ich neue an 
und bewähren ihre Fähigkeit, die technifchen Erzeugniffe ihrem Stoffe und ihrer 
Herftellungsart gemäfs zu behandeln, {ie charakteriftifch für ihre Beftimmung 
zu gefialten und zu fchmücken. Sie machen Fortfchritte in der architek- 
tonifchen Conftruction, bei welcher die Mängel ihres Wiffens vielfach durch 
die Praxis aufgewogen werden. Die architektonifchen Einzelformen des Alter- 
thums {ind bei ihrer einfachen Gefetzmäfsigkeit ihnen im Grofsen und Ganzen 
fafslich, und fo ahmen fie diefelben nach, keineswegs treu und correct, fondern 
derb und unbeholfen, aber doch fo, dafs ihre Hauptzüge feftgehalten lind. 
Sie verbinden und verfchmelzen mit diefen die überwiegend geometrifche Orna- 
mentik, die ihnen von Haufe aus eigen war, und zeigen {ich fähig, die Formen 
der Conftruction entfprechend auszubilden. Aber die vorwiegend technifche 
und ornamentale Kunftrichtung, verbunden mit dem ungefähren Nachbilden Geimge 
eines überkommenen Vorbildes, ift in der Plafiik und Malerei unzureichend. Schmke" 
Diefe KünPce, welche die organifchen Formen der Natur zum Gegenftande 
haben, verlangen die fchärffte Auffaffung durch das Auge, die vollkommene 
Durchdringung des Objectes, das Verßändnifs feines Organismus, das Aufnehmen 
der Erfcheinung in das Bewufstfein. Die Roheit und Unbeholfenheit der 
mittelalterlichen Verfuche geht nicht fo fehr aus dem Mangel an Fertigkeit 
und Gefchick wie vielmehr aus geiftigen Mängeln hervor, dem Stumpffmn, 
der die vor Augen {tehenden Erfcheinungen nicht klar zu fehen vermag, weil er 
{ie {ich nicht zum Bewufstfein bringt, und der fittlichen Unfreiheit, die das Recht 
eigener, perfönlicher Auffaffung der Ueberlieferung und der Autorität gegenüber 
nicht empfindet. Plaitik und Malerei des Mittelalters bleiben daher auf der 
Stufe des Kindlichen ftehen. 
Die Kirche war die Lehrerin der Völker, die fie über die Barbarei hinaus- 
zuheben fuchte. Sie begründete in ihrer Mitte Zucht, Sitte, geregelte Thätig- 
keit und-theilte ihnen KunPtfertigkeit und ein beftimmtes Mafs des _Wiffens 
mit. Aber zur fittlichen Freiheit erzog fie die Völker nicht, da dem chrifi- 
liehen Geifte die Vorftellung von dem Unwerthe des Menfchen, der Unzuläng- 
lichkeit feiner Kraft, feiner Abhängigkeit von geheimnifsvoller höherer Macht 
Zugrundelag. Hiermit war die Vorftellung von der Sündhaftigkeit der Natur 
verbunden, die um ihrer felbft willen kein Gegenftand der künftlerifchen Dar- 
Itellung fein konnte. Für das Mittelalter blieben Plaftik und Malerei nur eine 
Art Bilderfchrift, welche denen, die nicht lefen konnten, das Heil verkündigte 
und überhaupt als Werkzeug geiftiger Mittheilung diente. Die eigentliche 
Aufgabe der bildenden Kunft: das Geifiige vollkommen in der {innlichen Er- 
fcheinung aufgehen zu laffen, die fich rein an die Anfchauung wendet, blieb 
für das Mittelalter unlösbar. WVährend das antike Kunflwerk befriedigt in {ich 
felbfi; ruht, weil {ich geiftiger Gehalt und Form harmonifch entfprechen, kün- 
digt fich in den Schöpfungen des Mittelalters eine Intention an, die nach Aus- 
druck ringt und das HöchPre offenbaren möchte; {ie tritt aber überall mit unzu- 
länglichen Mitteln in verkümmerter Erfcheinung zu Tage. 
Auch die byzantinifche Kunft kannte kein felbftändiges Verhältnifs zur Yäfrtgleirghy 
Natur, keine freie, perfönliche Auffaffung des Künftlers; ihre malerifchen Znltänifethgn 
Schöpfungen werden nicht durch eigene Emphndung und Beobachtung, fondern u" 
	        
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