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Zweites Buch.
Periode.
Ab fchnitt.
Dritter
in ihm Hecken. In den Typen ift neben der Starrheit blofser Repräfentation
und neben der kirchlichen Askefe alles Andere, der R'eiz der Jugend, die
Anmuth der Weiblichkeit, die freie Entfchlufsfahigkeit des Mannes, erfiorben.
Die feierlichen Heiligengeltalten erfcheinen fmfler, mürrifch, der freien menfch-
lichen Empfindung baar: nin aller ihrer ftirnfaltenden Gravität jedes flttlichen
Wollens unfähige (Kugler). Der claffifche Typus ift in das Häfsliche hinein
verzerrt, Die Stirn ift hoch, kahl, oft in firenge Falten gelegt, die Augen fmd
fiarr, aufgeriffen, fpäter unfchön gefchlitzt. Die Nafe ift lang, mit breitem
Rücken, die beleuchteten Stellen, Stirn, Backenknochen, {ind fchroff hervor-
gehoben. Der Mund ift klein, aber ohne Leben, ohne den Reiz des Sprechen-
den; die Unterlippe fchiebt fich voll Anmafsung in die Höhe.
Am längflen hält noch die claffifche Erbfchaft in der Technik vor, aber
es mangelt die Weiterbildung; bei aller Handfertigkeit, Sauberkeit und faft
ängftlichen Genauigkeit ift die Behandlung doch lieblos und verftändnifslos.
Von jetzt an geht in der Miniaturmalerei die Vorliebe für Darftellungen in
dels"'jgiäftj's_ kleinerem Formate und zierlicher Ausführung durch, fo in den Predigten des
Paris- Mönches Jacobus auf die Fefte der heiligen Jungfrau (12. Jahrhundert,
Paris, Bib. nat. Gr. 1208) 1), mit einer folchen Fülle von Scenen, dafs bei
diefer Breite der Schilderung die einzelnen Momente fich nicht mehr charak-
teriftifch von einander unterfcheiden können, und mit langgezogenen Figürchen
von 4 bis 5 Centimeter Höhe. Die Nachklänge des Antiken befchränken
{ich hier auf gelegentliche namenlofe Nebenfiguren, die zufchauend dabei ftehen,
während die Hauptliguren, dem myftifchen Charakter des Buches entfprechend,
in Askefe verkümmert fmd. Dafür können die forgfältige Ausführung, die
noch immer kräftige Farbe nicht entfchädigen. In der Landfchaft, den Bäumen
ift jede Spur von Naturanfchauung verfchwunden, und doch werden fogar
Darfiellungen vom Garten des Paradiefes verfucht, ebenfo deuten auch unge-
fchickt dargeftellte Gebäude oft die Scenerie an; nur die reine Frontanficht
eines farbenreichen Prachtbaues, der Heiligengeftalten umfchliefst (Bl. 4 verso),
ift ein intereffantes Bild einer byzantinifchen Kuppelkirche.
Inili-"lßn- Dabei tritt hier ein Zug, welcher der byzantinifchen Kunfl bisher fremd
war, in den Initialen auf. Diefe {ind aus vierfüfsigen Thieren, Vögeln und
Drachen zufammengefetzt, aber die Thiere flnd nicht wie im Abendlande einer
kalligraphifchen Ornamentik mit ftilvollem Blattwerke wirkungsvoll eingefügt,
fondern bilden felbil, in einfacher Zufammenfetzung und ohne weitere Zuthat,
die Buchflabenform 2). Mit ähnlichen Verfuchen haben wir die frühgermanifche
Handfchriftenmalerei auf ihrer erften Stufe beginnen fehen. Zu den primi-
tiven Formen, über welche jene Völker damals feit mehreren Jahrhunderten
hinausgewachfen waren, greift alfo jetzt die Blaiirtheit einer greifenhaften Cultur.
Gifäänzß" Etwa gleichzeitig wird etwas. Aehnliches mit menfchlichen Figuren in
Paris. anderen Codices verfucht, fo in mehreren Handfchriften der Predigten des
heiligen Gregor von Nazianz, von denen die eine in der Vaticana (N0. 4693)
allerdings fchon dem I I. Jahrhundert zugefchrieben wird, zwei übereinftimmende
I) Laäarte Taf. 87. AßhllliChef COÖCX in der Vaticana Nr. 1162, vgl. Aginßozert Taf. 50, 51.
2) Zufammenflellung von Proben, dem Text zufolge fchou feit dem 8. Jahrhundert, bei Mont-
faucon Pal. gr. zu S. 254.
3) Aginrourt Taf, 49.