Zweites Buch.
I. Periode.
Dritter Abfchnitt.
Paris (Bib. nat. Coislin 79), für den Kaifer Nikephoros Botaniates (1078-
1081) gefchrieben. Auf dem erften der vier Dedicationsbilder am Eingange 1)
iPc noch ein kümmerlicher Reft antiken Gepräges in den allegorifchen Ge-
Halten der Wahrheit und Gerechtigkeit hinter dem Throne wahrzunehmen, aber
defto fchwächer ift alles Uebrige. Wie bei den Audienzen vor den fich Nieder-
werfenden der Thron mit dem Kaifer durch eine mechanifche Vorrichtung
hoch in die Höhe gehoben wurde, fo verfucht hier die Malerei einen ähnlichen
grob finnlichen Effect mit ihren Mitteln, indem f1e den Autokrator riefig grofs
im Verhältnifs zu den anderen Figuren bildet. Da thront er in blauem Kleide
mit Stickerei, Edelfteinen, Goldbefatz und in den rothen Schuhen, die ihm
allein zukamen; ihm zunächft ftehen vier Beamte feines Hofilaates, damals
zugleich die höchften Würdenträger des Reiches, feiner Rechten zunächft der
Protovestiarius. Wie feierliches Schweigen durch das Ceremoniell geboten war,
fo {tehen fie völlig unbewegt und ftecken wie ausgeftopft in ihrem überladenen,
meiPc ärmellofen Ornate, während ihre Gefichter mit kleinem Munde, langer,
gerader Nafe, mandelförmigen Augen, hochgezogenen Brauen und kleiner Stirne
jedes Ausdruckes baar {ind (Fig. 62).
Antääfioära- Die Erbfchaft des Alterthums hatte fich erfchöpft, weil fie ein todtliegendes,
erfchöprr. nicht durch neue Arbeit fruchtbar gemachtes Capital war. Der byzantinifchen
Kunit fehlt die felbftändige Lebenskraft", fie fchafft nicht aus innerem Triebe
und aus felbitändiger Anfchauung heraus, fondern wird nur auf Grund von
Gewöhnung und Gebot betrieben. In allem, was dargeftellt wird, kommt jetzt
nicht mehr das unmittelbare Leben, fondern nur das gefpreizte Ceremoniell
des Cultus und des Hofes zur Geltung. Sie ift zu knechtifchem Dienfte einem
felbitfüchtigen, üppigen, prunkliebenden Despotismus und einem ftarren Kirchen-
thum unterworfen, das flch nicht um geiftige Durchdringung des Lebens und
der Sitte kümmert, fondern nur auf fanatifche Verfolgung der Irrlehren, auf
weltfeindliche Askefe und dogmatifches Formelwefen gerichtet ift.
Spätbyzanti- Die Motive Iind nur Wiederholungen von dem, was frühere Epochen
"ich" 5M befafsen; manche mögen fich trotz aller Aengftlichkeit der Reproduction als
unverwüftlich erweifen, aber fie haben ihr ilrfprüngliches Gepräge verloren;
weder die Einzelgeilalt und ihre Bewegung noch auch Compoiition und
Gruppirung gehen jetzt aus einer eigenen Intention des Malers hervor. Statt
der Studien nach dem Leben fmd jetzt Durchzeichnungen nach älteren Werken
das Material, das der Künftler verwerthet; aber mit dem Mangel an Anfchau-
ung fehlt auch, bei aller Peinlichkeit der Arbeit, die Fähigkeit diefe Vorbilder
zu verftehen. Die Reproduction wird immer mechanifcher und trockener. Die
Proportionen werden immer mehr in die Länge gezogen, die Glieder fitzen
nicht mehr richtig aneinander, die Extremitäten und die Gelenke fmd nur nach
der Schablone gebildet, die Füfse werden unfähig zu fchreiten und zu ftehen,
fmd oft fchräg gegen unten gerichtet, ohne Boden zu Enden. Keine Bewegung
ift mehr vom Willen durchdrungen. Das Nackte verfchwindet nach orienta-
lifchem Brauche, der der Einfeitigkeit chriftlicher Moral willkommen ift, faft
1) Abbildungen: Manzfauzan, Bibliotheca Coisliniana, Paris 1715. Auf ähnlicher Stufe die
Panoplia, Sammlung der Kirchenväter, für Alexius I. Comnenos (1081-1118) gefchrieben, Vaticana
Nr. 666, Agincour! Tat". 58; Evangeliariunl von 1128, ebenda, Urbino Nr. 2, Agincourl Taf. 59.