Die
karolingifche Epoche.
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Brüdern geiftlichen Standes, Beringar und Liuilzard, vollendet. Mit letzterem
ift wahrfcheinlich der Schreiber Litlzzzard identifch, der am Schluffe des Parifer
Gebetbuches genannt wird. In der Bibel deffelben Königs aus S. Callifto rühmt
der Schreiber [ngoberl voll Selbftgefühles in einigen Verfen, dafs er die italieni-
fchen Zeichner erreiche, ja übertreffe 1), und er hatte mit diefer Behauptung
nicht Unrecht, wie uns bald ein Blick auf Italien zeigen wird.
Als Klöfter, aus denen einige der fchönften Bilderhandfchriften hervor- Kllgäfferrtfgs
gegangen lind, haben wir St. Martin in Tours und St. Martin in Metz
kennen gelernt. Wichtige Stätten der Malerei in Frankreich und in Lothringen
fcheinen dann namentlich noch Saint-Ricquier in der Picardie, Fontanelle
Saint-Denis, Reims, Aachen, Lüttich gewefen zu fein, ebenfo in Deutfch-
land die grofsen Klöiter Fulda, Reichenau, St. Gallen. In Klöftern ge-
ringeren Ranges werden weit mäfsigere, oft dilettantifche und barbarifche Ar-
beiten angefertigt, wie die zwei Bilder in der unter Ludwig dem Deutfchen (um
868) entitandenen Otfrid-Handfchrift aus Weifsenburg (Wien, Hofbib-
liotheki). Eine blühende Schule der Miniaturmalerei auf deutfchem Boden
entfaltete {ich aber namentlich in St. Gallen3). Als die hieher verptlanzte St. Gallen.
irifche Richtung fich mit der karolingifchen berührte, vollzog {ich eine Wand-
lung, die fchon vor der Mitte des 9. Jahrhunderts unter Abt Grimald (feit 841)
hervortritt und fich unter feinem Nachfolger Hartmut fortfetzt. An der Grenze
fteht das von dem Schreiber Woßcoz gefertigte Evangeliarium (Stiftsbibliothek
Cod. 20). Eine neue Stufe bezeichnet der von Folrlzard gefchriebene Pfalter
(Cod. 23), der neben entwickelter Ornamentik und vollendeter Technik in den
Initialen doch in dem Figürlichen noch derb und ungefchickt bleibt, und das
Pfalterium aureum (Cod. 22), das den Höhepunkt der dortigen Schule be-
zeichnet. Die Initialen lind breiter ausgeführt als im Pfalter des Folchardus,
aber oft höchit phantafievoll und bei durchweg rothumriffenem goldenem
Geriemfel in Verbindung mit wenigen Tönen, vornehmlich Purpur und Grün,
niemals Blau, von eigenthümlicher Farbenwirkung; die figürlichen Compofi-
tionen find nicht in Deckfarben gemalt, wie in den Prachtcodices der Karo-
lingerhöfe, fondern in zeichnender Behandlung, mitausgefpartem Pergament
in den Gewändern, die nur derb fchattirt und mit Gold geziert oder umriffen
fmd. Was aber hier vorzugsweife überrafcht, ift die Selbftändigkeit und F rei-
heit in der Erzählung. Mag die Formenkenntnifs gering fein, mag bei dem
Mangel an perfpectivifchem Gefchick eine Gruppe oft über der anderen {tatt
hinter ihr ftehen, mag das Terrain nur durch einen wellenförmigen Purpur-
{treifen mit einzelnen Gräfern angedeutet fein, der an den Füfsen der Geftalten
haftet und mit den einzelnen Gruppen oder Figuren oft frei in der Luft
fchwebt, fo lind doch die Momente aus der Gefchichte Davids mit unbefangener
Lebhaftigkeit und Anfchaulichkeit verfinnlicht, wie die Scene, in der er fich
vor König Achis wahnflnnig itellt, oder wie der Auszug des Heeres gegen
die Syrer (Fig. 59). Selbft die Pferde, mögen fie auch in Purpur, Grün und
I) Ingobertus scriba fidelis, graphidas- Aufonios aequans superansve tenore mentis,
2) Abbild. bei Westwaod, P. S. u. Silvexlre.
3) K. Kahn, Gefchichte der bildenden Künfte in der Schweiz, S. 130 f. Derfelbe,
terium Aureum von St. Gallen, herausgegeben vom hillorifchen Verein des Canlons S. G.
Tafeln); für Gefchichte der karolilzgifcheil Mininturmalerei überhaupt wichtig.
Gefchichte d. Malerei. I4
Das Psal-
1878 (18