Zweites Buch.
Periode.
Zweiter Abfchnitt.
faft nackt, mit der Chlamys, zwifchen zwei Trabanten und feinen vier Pfal-
miften; in den Ecken des Rahmens die Büften der Cardinaltugenden Klugheit,
Stärke, Gerechtigkeit, Mäfsigung. In den meiften Handfchriften ift trotz kurzer
Figuren, ausdruckslofer Züge fchwächlicher Extremitäten immerhin die leben-
dige Bewegtheit, die Abficht, durch diefes Mittel anfchaulich zu wirken, oft
felbft ein Anflug von Pathos in den Geberden beachtenswerth.
glrägfe Auch Handfchriften profanen Inhaltes kommen während des 9. und IO. jahr-
hunderts in diefer Schule vor, lateinifche Ueberfetzungen vom Buche des
Dioskorides über die Pflanzen 1) und vom aftronomifchen Gedichte des Ara-
tus mit Darftellungen der Sternbilder, bei denen die claffifchen Vorbilder bald
mehr, bald minder kenntlich find 2).
kggcgggcr Neben diefen Werken, welche den fränkifchen Stil in feiner höchften
Einflüffe. Ausbildung zeigen, Prehen andere in der Ornamentik, im Verhältniffe der Farben,
bei denen aber das Gold nicht ausgefchloffen ift, und in der Zeichnung der
Figuren der irifchen Schule näher. S0 das Evangeliarium lat. 8849 zu
Paris (Bib. nat.). In den Evangeliitenbildern ift der Mund faft nur Eine, an den
Mundwinkeln abwärts gezogene Linie, das Lockenhaar iit in gleichartigen,
maffenhaften Büfcheln gehalten, die Gewandung mit langezogenen Falten ge-
künftelten, wehenden Zipfeln und unruhigen Rändern ift charakterlos. Noch
barbarifcher in den Typen ift das Evangeliarium aus St. Laurentius
in' Lüttich (Brüffel, Bib. de Bourgogne Nr. 18383, 9. bis IO. Jahrhundert).
Das Evangeliarium Franz' II. (Paris, Bib. nat. lat. 257) fleht durch die
Pracht der Initialen und der Ränder, mit Gold und Silber, Füllungen in weifsem
Geriemfel auf Schwarz, irifch ftilifirten Vögeln an den Ecken, befonders hoch.
Die Bilder wie die CanQnes haben die reichPte architektonifche Umrahmung
mit dünnen Säulen, Hufeifen- und Spitzbögen, in denen {tellenweife fchon
die Arcadentheilung des gothifchen Stiles vorweggenommen fcheint. Aufser
den Evangeliftenbildern kommt hier ein nackter Chriftus am Kreuze, zu dem
Lanze und Stab mit Schwamm emporgehoben werden, vor.
Diefer Gefchmack lebt bis in das 10. Jahrhundert weiter, wie in einem
Evangeliarium zu Paris (Bib. nat. lat. 15520, früher Sorbonne 1300), in dem
weder bei den Initialen noch auch in den architektonifchen Umrahmungen der
Canones wie der Bilder Gold vorkommt, fo reich auch fonft deren Farbe und
Form iPc, mit Löwen, Menfchenköpfen, kauernden Geftalten an der Bafis und
kühn durchiiochtenen Bögen, unter denen fogar fchon der gefchweifte Spitz-
bogen auftritt. Die Evangelifienfiguren zeigen hier aber den Verfall des Stiles
in ihrer ungefchickten Haltung mit formlofen Armen und Beinen, ihren häfs-
lichen Gefichtern und ihren fmnlofen Gewandmotiven fowie in der fchmutzigen
Farbe mitldunkelgelbem Fleifchtone ohne Modellirung.
Schreiber In einigen der wichtigften Codices höfifchen Urfprunges iPc der Name des
1333er. Schreibers oder des Malers angegeben. Das Evangeliarium Lothars in Aachen
enthält das Bild des Schreibers, eines Mönches Otto. Der Codex Karls des
Kahlen aus St. Emmeram ift, nach den Verfen auf dem Schlufsblatte, von zwei
I) Paris, bib. nat. ältere Nummer: anc. f. lat. 6862.
2) Boulogne, bib. municipale, No. 188 Pal. Soc. Taf. 96. Bern, Stadtbibliothek, No. 88, beide
aus dem 10. Jahrhundert; St. Gallen, Stiftsbibliothek, No. 250 und 902, beide zufamnmen aus dem 9.
Jahrhundert, doch nur mit Federzeichnungen,