Die karolingifche Epoche.
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mitunter auch ionifchen Stiles, prächtige Seffel in antiker Form, geftreifte
Teppiche lind in Beiwerk und Einfaffungen beliebt, Nachbildungen antiker
Gemmen und Münzen kommen in einzelnen Handfchriften vor. Die Farben- Behandlung.
Wirkung ift gewöhnlich hart und trübe, doch die Oberfläche hat einen ftarken
Glanz, wohl in Folge eines leimhaltigen Firnifsüberzuges. Die Behandlung zeigt
gewöhnlich eine hellröthliche Vorzeichnung mit dem Pinfel, dann paftofen Auf-
trag der Deckfarbe, die als Mittelton über eine ganze Fläche geltrichen ward,
während Schatten und Lichter kräftig aufgefetzt werden. S0 wurden in dem
gelblichen Grundton des Fleifches die Umriffe der einzelnen Theile mit Schwarz
geführt, die Augenlider mit Roth, die Wangen mit einem grünlichen Tone
derb modellirt, das Licht längs der Nafe durch einen weifsen Strich ange-
geben. In den Gewändern, die bei allen heiligen Geftalten antik, aber meift
wenig verfianden fmd, wurden die, einzelnen Motive nur grob in fchwarzen
Strichen eingezeichnet. Die Kenntnifs der Perfpective fehlte gänzlich, und
nirgends löfen die Geftalten {ich wirkfam aus der Fläche ab.
Ein licher datirtes Prachtwerk aus der Zeit Karls des Grofsen ift deffen ginifghäief;
Evangeliarium in Paris (Bib. nat. nouv. acq. lat. 1993), für den König und dlegiääarä.
feine Gemahlin Hildegard im Jahre 781 durch einen Schreiher Gadesscalc
vollendet 1). Die Initialen fmd prächtig, jedes Blatt iPc reich ornamentirt, fechs
gröfsere Bilder enthalten die Evangeliften, den thronenden Chriftus, eine Alle-
gorie vom Brunnen des Lebens, dem verfchiedene Thiere nahen. Den Evan-
geliften mit ihren groben Extremitäten, ihrer ungefchickten Haltung ift der
ganz von vorn gefehenc fegnende Chriftus überlegen, in bartlos-jugendlichem
Typus, mit blondem, in der Mitte gefcheiteltem Haare und, trotz der Aus-
druckslofigkeit bei aufgeriffenen Augen, dadurch, dafs die Lippen leife ge-
öffnet lind, nicht von der Starrheit der übrigen Köpfe (Fig. 57). Karolingifche
Architektur und Teppich-Hintergründe lernt man hier vorzüglich kennen. Ueber-
legen iit der Codex aureus in der Stadtbibliothek zu Trier, gefchrieben
auf Veranlaffung einer Aebtiffin Ada; die Evangelifien, fämmtlich bartlos
und von idealem Typus, Iind trotz aller Unvollkommenheit frei und grofsartig
in den Motiven 2).
Nahe verwandt find das Evangeliarium aus Saint-Ricquier oder Centula
(Abbeville, bib. municipale) und dasjenige aus Saint-Medard in Soissons
(Paris bib. nat. lat. 8850), in welchem auch der Brunnen des Lebens mit farben-
prächtigem Säulenbaldachin wieder vorkommt, dann ein Evangeliarium im
British Mufeum (Harleian N0. 378893), die aufser den Evangeliften auch
kleine biblifche Scenen in einigen der prächtigen Initialen enthalten. Etwas
abweichend iPc das Evangeliarium Karls des Grofsen unter den Kleinodien des
heiligen römifchen Reiches deutfcher Nation in der Schatzkammer zu Wien.
Ueber Zeit und Urfprung findet fich im Buche felbft keine Angabe, aber man
darf es nicht fpäter anfetzen 4). Was es von allen Denkmälern aus der Epoche
I) Vgl. aufser Baßard noch Weßzvoad pal. sacra. und Du Sammerard, Les Arts au moyen äge,
Album, VII. särie pl. 39, 40.
2) Kugler kl. Schriften II S. 337, mit Abbildung.
3) Humplzreys, The illuminated books of the Middle Ages, Taf. II-IV.
4) Waagen, Kunfidenklnäler in Wien II. S. 409, wollte es erPc der Zeit Karls des Kahlen zu-
fchreiben. Anzellz, Denkfchriften der kaif. Akademie der Wiffenfchaften in Wien, Phil-hifl. CL,
B. XIII, XVien X864, mit Abbildungen.