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Erfles Buch.
Dritter
Abfchnilt.
Bibliothek des Corpus Chrifti College zu Cambridge (Nr. 286) offenbar eben-
falls italienifchen Urfprungs. Von den Evangeliften ift nur Lucas erhalten,
der innerhalb einer glücklich aufgebauten Architektur in wirkungsvoller finnen-
der Haltung dafitzt. Trotz edler Motive, wie in dem emporgehobenen rechten
Arme, erkennt man hier fchon den herben, asketifchen Charakter damaliger
Mofaiken. Im Tympanon ruht das Symbol, der Stier, die Seiteneinfaffungen
enthalten zwifchen je zwei Säulen kleinere biblifche Darfiellungen. Aufserdem
ift nur noch ein Blatt mit kleinen Paffionsfcenen in dem Buche erhalten 1).
Syyifghpg Diefelbe Pracht der architektonifchen Umrahmungen, ferner die Neigung
hiÜi-Siiiim zu ausführlicher erzählender Darftellung finden wir in einem Syrifchen
Evangeliarium zu Florenz (Laurentiana), das im Jahre 586 von dem Priefter
Rabula im St. johanneskloiter zu Zagba in Mefopotamien gefchrieben wurde.
Für die Umrahmung der Canones, wie wir fie vorhin gefchildert, und wie fie
durch das ganze Mittelalter üblich blieb, gewährt diefe Handfchrift das erfte
nachweisbare und zugleich eins der glänzendften Beifpiele. Seitwärts an den
architektonifchen Einfaffungen iPc überall für kleine Figiirchen und Scenen
aus der biblifchen Gefchichte Platz, denen {ich dann noch ein paar Seiten
mit gröfsern Bildern anfchliefsen, zunächfi die Kreuzigung (B1. I3), für deren
Darfiellung wir hier einen der früheften Belege haben. Nachdem die altchrift-
liche Kunft ihr bisher aus dem Wege gegangen war und {ich damit begnügt
hatte den Opfertod des Heilands fymbolifch anzudeuten, {latt die fchimpf-
liche Todesfirafe felbft zu verfinnlichen, wurde nun auch diefer Gegenftand
in den chriftlichen Bilderkreis eingefügt, als die Kreuzigung nach und nach
aufser Gebrauch gekommen und gleichzeitig das claffifche Gefühl bei den
Chriiten mehr und mehr abgefiumpft war 2). Auf unferem Bilde erfcheint
Chriilus mit vier Nägeln befefiigt, die Arme horizontal, alfo nicht eigentlich
hängend, auch nicht nackt, fondern, wie das noch lange üblich blieb, in langem
Purpurgewande. Seitwärts fmd die gekreuzigten Schächer, unten johannes,
die Frauen, der Scherge, welcher den Schwamm emporreicht, und die Kriegs-
knechte, die um Chrifti Rock lofen, zu fehen; eine befondere untere Abthei-
lung enthält die Auferflehung, die Marien am Grabe, den Heiland, der den
Frauen erfcheint 3). Auf der Rückfeite des Blattes folgt die Himmelfahrt. Der
Urheber diefer Bilder verräth Phantaiie und Originalität in den Motiven,
aber die Ausführung ift im Figürlichen derber, in der Zeichnung flüchtiger, in
der Malerei ungleichartig und oft wirklich roh bei unficheren, groben Umriffen.
Es ifi nicht überrafchend, dafs Arbeiten aus entlegeneren Provinzen die Rein-
heit des Stiles und die forgfältige Behandlung vermiffen laffen, die an den
Hauptlitzen antiker Bildung, befonders aber am Kaiferhofe zu Byzanz, länger
erhalten blieben. Aber auch an diefer Stelle fand die claffifche Periode der
altchriitlichen Kunft einen jähen Abfchlufs.
einem Medaillon mit dem Lamm Gottes zufammentreffen. Weiterhin kommt nur noch eine Abbildung
vor: B1. 79 verso, vor dem Neuen Teftamente, der thronende bärtige Chrifius mit zwei Engeln in einem
Runde, aufserhalb deffelben, in den Ecken, die vier Evangelißen nebft ihren Symbolen; ungleich roher als
der Esdra, in fchwarzen, kindifchen Umriffen und ohne Angabe von Licht und Schatten in der Farbe,
I) Garrmri Taf. 141. Palaeog. Society Taf. 33, 34, 44.
2) Vgl. Storkäauer, Kunftgefchichte des Kreuzes, Schaffhaufen 1870.
3) Labarte Taf. 80 (die Kreuzigung farbig); Aginrourt Taf. 27; Garrucci Taf. 128-140.