Die altchriftliche
Miniaturmalerei.
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In religiöfen wie profanen Büchern, die für eine vornehme Perfon, befon-
ders aus dem Herrfcherhaufe, angefertigt worden, erfcheint diefe in feier-
licher Auffaffung, oft thronend, von realen oder allegorifchen Geftalten um- -
geben. Auch folche Darftellungen gehen auf antike Mufter zurück; man denke
an den berühmten Silberfchild des Kaifers Theodofius (Madrid).
Zu den figürlichen Darilellungen" kommt dann noch die ornamentale Ornamen-
Ausftattung. Die Urnrahmung der einzelnen gröfseren Bilder ift zunächft um
ziemlich einfach, aber eine befonders reiche Verzierung empfangen die Ca-
nonestafeln, welche in den Evangeliarien dem Texte voranzugehen pflegen,
und zwar in einer ftets übereinftimmenden Weife, die ebenfo in byzantinifchen
wie in abendländifchen Manufcripten vorkommt und fchon im 6. Jahrhundert
nachweisbar iPc 1). Die einzelnen Abtheilungen werden durch faulengetragene
Arcaden in reicher Farbe und Vergoldung umfchloffen, und über den Um-
fafftingsbögen "oder Giebeln erfchcinen fymmetrifch einander entfprechende
Vögel, auch wohl andere Thiere, meift zu den beiden Seiten eincs Gefäfses
oder eines Brunnens aus dem {ie trinken wollen. An fymbolifche Abficht
braucht man nicht zu denken; aufser Pfauen oder Tauben kommen auch
Hähne, Rebhühner u. dgl., oft in ziemlich realiftifcher Behandlung, welche
die Freude am Thierleben verkündet, vor. Mitunter fmd die Thiere auch
durch menfchliche Geftalten religiöfen Charakters oder durch Figuren aus
dem täglichen Leben erfetzt. Diefe Verzierungen find das unmittelbare Abbild
innerer Raumdecorationen, wie fie in Wirklichkeit ausgeführt wurden; ihr erftes
noch erhaltenes Vorbild finden wir in den Stuccaturen zwifchen den Fcnftern
des katholifchen Baptifteriums zu Ravenna, wo ebenfalls über den Giebeln
fymmetrifche Vögel zu den Seiten von Brunnenbecken, vierfüfsige Thiere und
auch menfchliche Geftalten vorkommen.
Aber mit dicfer Reproduction architektonifcher Verzierungen ift in Initialen.
italienifch-altchrift1ichen wie in byzantinifchen Handfchriften Alles gethan,
von den kalligraphifchen Randornanmenten und befonders von den reichen
Initialen, die wir fpäter in den Manufcripten des Mittelalters kennen lernen
werden, ift hier keine Rede, die Initialen werden etwas gröfser in den Text
gemalt, lind aber noch völlig fchmucklos und einfach.
Die Technik beftcht aus einer Malerei in Deckfarben auf Pergarnent, das Technik.
mitunter von einem dünnen Gypsgrunde überzogen, in vielen Fällen über dem-
felben vergoldet ift. Die Umriffe find mit dem Pinfel geführt, die Vorzeich-
nung, welche in befchädigten Manufcripten zu erkennen ift, verfchwindet völlig
unter dem breiten und paftofen Vortrag der Farbe. Diefe iPc licht gePrimmt,
oft gegen das Helle gebrochen; feinere Halbtöne find namentlich im Fleifche
angegeben, die Lichter energifch aufgefetzt. Die Productionen find höchft
ungleichartig, aber es kommen unter ihnen Werke von vollendeter Sorgfalt
der Ausführung vor. In Bilderhandfchriften gröfseren Umfangs laffen flch
faft immer mehrere Hände von verfchiedcner Qualität erkennen.
Im Ganzen wurde die Handfchriftenmalerei ziemlich fabrikmäfsig betrieben, Betrieb.
in der Folge namentlich durch Geiftliche und Mönche, doch in Byzanz auch
Laurcntian a,
Syrifches Evangeliar, Florenz,
gefchrieben i.
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flehe unten.