Volltext: Die Malerei des Alterthums (Bd. 1)

Die altchriftliche 
Miniaturmalerei. 
.183 
In religiöfen wie profanen Büchern, die für eine vornehme Perfon, befon- 
ders aus dem Herrfcherhaufe, angefertigt worden, erfcheint diefe in feier- 
licher Auffaffung, oft thronend, von realen oder allegorifchen Geftalten um- - 
geben. Auch folche Darftellungen gehen auf antike Mufter zurück; man denke 
an den berühmten Silberfchild des Kaifers Theodofius (Madrid). 
Zu den figürlichen Darilellungen" kommt dann noch die ornamentale Ornamen- 
Ausftattung. Die Urnrahmung der einzelnen gröfseren Bilder ift zunächft um 
ziemlich einfach, aber eine befonders reiche Verzierung empfangen die Ca- 
nonestafeln, welche in den Evangeliarien dem Texte voranzugehen pflegen, 
und zwar in einer ftets übereinftimmenden Weife, die ebenfo in byzantinifchen 
wie in abendländifchen Manufcripten vorkommt und fchon im 6. Jahrhundert 
nachweisbar iPc 1). Die einzelnen Abtheilungen werden durch faulengetragene 
Arcaden in reicher Farbe und Vergoldung umfchloffen, und über den Um- 
fafftingsbögen "oder Giebeln erfchcinen fymmetrifch einander entfprechende 
Vögel, auch wohl andere Thiere, meift zu den beiden Seiten eincs Gefäfses 
oder eines Brunnens aus dem {ie trinken wollen. An fymbolifche Abficht 
braucht man nicht zu denken; aufser Pfauen oder Tauben kommen auch 
Hähne, Rebhühner u. dgl., oft in ziemlich realiftifcher Behandlung, welche 
die Freude am Thierleben verkündet, vor. Mitunter fmd die Thiere auch 
durch menfchliche Geftalten religiöfen Charakters oder durch Figuren aus 
dem täglichen Leben erfetzt. Diefe Verzierungen find das unmittelbare Abbild 
innerer Raumdecorationen, wie fie in Wirklichkeit ausgeführt wurden; ihr erftes 
noch erhaltenes Vorbild finden wir in den Stuccaturen zwifchen den Fcnftern 
des katholifchen Baptifteriums zu Ravenna, wo ebenfalls über den Giebeln 
fymmetrifche Vögel zu den Seiten von Brunnenbecken, vierfüfsige Thiere und 
auch menfchliche Geftalten vorkommen. 
Aber mit dicfer Reproduction architektonifcher Verzierungen ift in Initialen. 
italienifch-altchrift1ichen wie in byzantinifchen Handfchriften Alles gethan, 
von den kalligraphifchen Randornanmenten und befonders von den reichen 
Initialen, die wir fpäter in den Manufcripten des Mittelalters kennen lernen 
werden, ift hier keine Rede, die Initialen werden etwas gröfser in den Text 
gemalt, lind aber noch völlig fchmucklos und einfach. 
Die Technik beftcht aus einer Malerei in Deckfarben auf Pergarnent, das Technik. 
mitunter von einem dünnen Gypsgrunde überzogen, in vielen Fällen über dem- 
felben vergoldet ift. Die Umriffe find mit dem Pinfel geführt, die Vorzeich- 
nung, welche in befchädigten Manufcripten zu erkennen ift, verfchwindet völlig 
unter dem breiten und paftofen Vortrag der Farbe. Diefe iPc licht gePrimmt, 
oft gegen das Helle gebrochen; feinere Halbtöne find namentlich im Fleifche 
angegeben, die Lichter energifch aufgefetzt. Die Productionen find höchft 
ungleichartig, aber es kommen unter ihnen Werke von vollendeter Sorgfalt 
der Ausführung vor. In Bilderhandfchriften gröfseren Umfangs laffen flch 
faft immer mehrere Hände von verfchiedcner Qualität erkennen. 
Im Ganzen wurde die Handfchriftenmalerei ziemlich fabrikmäfsig betrieben, Betrieb. 
in der Folge namentlich durch Geiftliche und Mönche, doch in Byzanz auch 
Laurcntian a, 
Syrifches Evangeliar, Florenz, 
gefchrieben i. 
536, 
flehe unten.
	        
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