Volltext: Die Malerei des Alterthums (Bd. 1)

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Zweites Buch. 
Zweiter 
Abfchnitt. 
diefen Gegenfland zu vereinigen, fo ftehen wir einem überaus reichen und 
glänzenden Gefammtbilde gegenüber. Die Verdienfte, welche die Griechen 
(ich, wie in allen Künften, fo insbefondere auch auf dem Gebiete der Malerei 
erworben haben, können, wie wir das voraus bemerkt, kaum hoch genug an- 
gefchlagen werden. In das hcllfte Licht treten fie zumal, wenn wir fie mit 
den malerifchen Leiftungen der orientalifchen Völker vergleichen.  
lafsilah. Als Mafsftab der Vollendung, den die Malerei erreicht hat, werden wir, 
abgefehen von den höheren geiftigen Eigenfchaften, die eine vollendete Malerei 
mit einer vollendeten Plaftik theilt, den Grad der Richtigkeit gelten laffen, 
mit der es ihr gelingt, ein Stück der fiehtbaren Welt der Erfcheinungen mit 
dem vollen Scheine der Wirklichkeit auf die Fläche zu bannen. Formen und 
Farben wollen dabei, wie {ie {ich auf der Netzhaut eines normalen Auges in 
gleicher Bedeutung wiederfpiegeln, gleichmiifsig zur Geltung kommen. Die 
Gefetze der Linear-, wie der Luft- oder Farbenperfpective wollen mit vollem 
Bewufstfein richtig gehandhabt fein. Das Schönite, was die Natur bietet oder 
bieten könnte, mufs ebenfo fchön und ergreifend von der begrenzten, farbig 
leuchtenden läche uns entgegenitrahlen. 
Eine Malerei in diefem vollen Sinne des Wortes haben die orientalifchen 
Völker nicht gekannt. Die Architektur und die Plaftik haben fie ihrem Wefen 
nach ergründet und richtig angewandt. In der Malerei aber haben fie nur 
verfuchend umhergetarpiat und es zu wirklich innerlich und aufserlich einheit- 
lichen Darltellungen, zur perfpectivifch und coloriftifch richtigen Wiedergabe 
eines Theilcs der Aufsenwelt auf der Wand oder der Tafel nicht gebracht. 
Dem Genius der Hellenen war es vorbehalten, hier bahnbrechend aufzutreten, 
itwick- Die Schriftquellen, wie die erhaltenen Werke, bezeugen, dafs auch die 
gigang" griechifche Malerei kindlich primitiv anfing, filhouettenhaft, farblos, ohne Ahnung 
der Kräfte, die in ihr fchlummerten. Aber allmählich erwachten (liefe Kräfte. 
Eine Entdeckung nach der anderen wurde gemacht, eine Schwierigkeit nach 
der anderen überwunden. Schon Polygnotos ftand auf einer Höhe der Flachen- 
darftellung, welche vor ihm von keinem Meifter keines Volkes der Erde erreicht 
worden war. Bei den orientalifchen Völkern war die Kunit vom Handwerk 
nicht getrennt gewefen. Namenlos gingen die Meifter zu Grabe. jetzt eril, 
im freien Griechenland, wuchfen die Künftler empor zu weltberühmten und 
weltbefeligenden Gröfsen. Polygnotos war wohl der erfte Maler, der auf diefer 
Höhe ftand. Eine wirklich malcrifche Malerei war auch die feine freilich noch 
nicht. Perfpective und Licht und Schatten und natürliche Farbenwirlcungen 
waren, wenn überhaupt, fo doch erft in primitiven Anfängen vorhanden. Aber 
bald nach ihm wurden fie entdeckt, nahmen {ie Befitz von der Malerei. Ein 
Problem nach dem anderen wurde gelöft. Apelles ftand auf der höchften Höhe 
der malerifchen Technik, welche den Griechen erreichbar war, und wenn wir 
die Nachrichten der Schriftfteller mit den malerifchlten der erhaltenen liVand- 
gemälde, die doch nur mehr oder minder rohe Tapezirerarbeit repräfentiren, 
vergleichen, fo werden wir nicht zweifeln, dafs die griechifche Malerei nun- 
mehr wirklich im Stande war, ihren F lächendarflellungen den Schein der leben- 
digen Natur zu verleihen.  
(kann, Es ift freilich wahrfcheinlich, dafs die fchwierigeren Probleme einer allfeitig 
richtigen Perfpective, wie fie das I5. Jahrhundert entdeckt, von den Griechen 
mtwick- 
gsgang.
	        
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