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Zweites Buch.
Zweiter Abfchnitt.
Alägioggäa einer verlorenen Handfchrift der homerifchen Ilias erhalten, welche dem 4. oder
'5. Jahrhundert nach Chr. angehören. Sie werden in der ambroüanifchen Bi-
bliothek zu Mailand aufbewahrt 1). Die Bilder folgen dem Texte vorn eriten
bis zum letzten Buche. Die Compolitionen {ind fchwach in die oft recht weiten
landfchaftlichen Hintergründe vertheilt. Auch {ind die Einzelformen und Be-
Wegungsmotive fchon wieder roh und unbeholfen. Aber die Gewänder z. B.
Iind noch völlig antik behandelt, und der breite, volle Farbenauftrag zeigt
einen Reit von malerifcher Empfindung.
gäräiiags: Diefen Miniaturen am nächften ftehen diejenigen des vaticanifchen Codex
Codex 3225i des Virgil, die etwa derfelben Zeit zugefchrieben werden. Es lind 50 Bilder,
welche theils die ländlichen Gedichte, theils die Aeneis illuftriren. Die Land-
fchaft fpielt auf einigen diefer Darftellungen die Hauptrolle. Die Geitalten
find kurz und gedrungen, die Köpfe ausdruckslos mit grofsen, ftierenden
Augen. Der Farbenauftrag ift fehr paftos und die Lichter fmd mit Gold
erhöht 2).
Codex 3867. Viel jünger als diefer Codex 3225 der vaticanifchen Bibliothek ift deren
Codex des Virgil 3867. Er enthält 16 Gemälde, die felbft in der Tracht fchon
Einflüffe des Mittelalters verrathen und fchlecht und charakterlos ge-
zeichnet und;
Täregiz des Berühmt ift dagegen wieder das Manufcript des Terenz in der vaticanifchen
3mm" Bibliothek. Vor jeder Komödie ili; ein Gemälde, welches die Masken unter
einem von zwei Säulen getragenen Portal in Reihen aufgeftellt zeigt. Ver-
fchiedene Scenen der Komödien aber {ind dem Texte eingefügt. Die Namen
befinden {ich über den agirenden Geftaltenß). Man hält diefe Bilder für im
9. Jahrhundert gefertigte Nachahmungen claffifch-römifcher Originale. Kaum
Miynläälriilte jünger iit der Terenz der franzölifchen Bibliotheque Nationale 4). Aber fogar
desTerenz. die Miniaturen eines Terenz aus dem 12. Jahrhundert, welchen die Bodleian
Library zu Oxford beiitzt, zeigen noch Wiederholungen älterer Motive mit
mittelalterlichem Anftrich 5).
Nicanrlerder Für Copien nach Originalen des 3. und 4. Jahrhunderts werden dagegen
liiilliiiitiigiicilie die Miniaturen eines Manufcriptes des Nicander gehalten, welches die Bi-
bliotheque Nationale zu Paris bewahrt ß).
S0 wenig derartige Arbeiten dem verwöhnten Auge einer an reifen Künft-
werken reichen Zeit genügen können, fo bedeutend ift das hiftorifche Intereffe,
welches ihnen als den letzten Ausläufern antiker Kunftübung zukommt.
I) A. Mai: Iliados fragmenta antiquifüma, Medici. 1819; Homeri Iliudos picturae etc.,
Romae 1835. ,
2) A. Mai: Virgilii Pichlrae antiquae, Romae 1335. Hier die Bilder der Codices 3225 und 3867
vereinigt. Man vgl. Crawe 8c Cavalcajälle, Hiüory of painting in Italy, I. p. 40.
3) Befchreibung der Stadt Rom, II, 2. S. 346.
4) Whagen, Kunßwerke und Künfiler in Paris, S. 260.
5) Waagen, Treafures of Art etc., III. 68.
6) Neuerdings durch Fr. Lmarmant publicirt in der Gazette archäologique 1875 pl. I8 u. 32;
1876 pl. n u. 24.