Vestalinnen iindet Der Zeigeünger an der linken Hand ist
nicht richtig ergänzt; es ist ihr ein Scepter (ein Stab) oder
vielleicht eine lange Fackel 30) in die Hand zu gehen. Daraus
Schliefst man, dafs es eine Göttin ist. Als ferneres Erkennungs-
zeichen dient der Schleier, welchen Matronen zu tragen pliegen
wie Rhea, Hera, Demeter. Von diesen kann es wegen des
jugendlichen Gesichtsausdrucks keine sein. Es ist wohl die
Göttin, in welcher Jugend und matronale Würde gemischt er-
scheinen: Hestia, die keusche Göttin des Herdfeuers, die
ernste, würdige Schutzgöttin des Hauses. Giustiniani ist sie
zubenannt nach ihrem früheren Aufbewahrungsorte, dem Palast
Giustiniani zu Rom. Der feierliche Ernst: des Bildes sagt uns,
dafs es zu einer Zeit geschaffen ist, da man an die Götter
noch glaubte, von einem Künstler, der selbst mit Andacht zu
der Göttin emporsah. Das Gesicht ist schön, aber streng,
die Haltung ist ruhig, aber nicht starr, denn der Hals ist leise
gewendet und etwas nach rechts geneigt; ihr schöngebildeter
linker Arm hält in natürlicher Weise das Scepter. Der
Schleier fällt leicht herab; der obere Teil des Gewandes ist
sparsam im Faltenwurf, aber nicht steif, ja unter dem Uber-
schlag drängen sich krause Falten belebend hervor. Wir
sehen also, dafs der Künstler es verstand, den Ausdruck des
Starren zu vermeiden; um so mehr fällt uns die fadenartige
Behandlung der Haare auf, die unnatürlich scharf vorspringende
Augen- und Nasenlinie, das pfeilerartige Aussehen der untern
Gewandung, welche weder Beine, noch auch nur Füfse an-
deutet: das kann nicht Folge von Mangel an Kraft, son-
dern nur von bewufstem Wollen sein. Der Künstler wollte
wahrscheinlich nicht eine gewöhnliche Götterstatue, sondern
ein Kultbild schaffen d. h. ein Teinpelbild, das Gegenstand
-der Verehrung war.
Die ältesten Kultbilder, von denen wir uns fast nur nach
Beschreibungen oder Darstellungen auf Vasen eine Vorstellung
machen können, waren durchaus kunstlos; wird doch von
Holzbildern erzählt, die kaum menschenähnlich waren. Aber
auch als die Kunst längst Vollendetes schalten konnte, blieben
jene Bilder im Besitz der ererbten Ehren, teils weil es die
Priester so anordneten, teils weil ihr Altertum ihnen in den
Augen des Volkes gröfsere Heiligkeit verlieh. Daher erhielt
sich lange die Sitte, wenn es galt, einem Tempel ein Kultbild
zu weihen, dieses möglichst altertümlich zu bilden, eine Sitte,
die besonders in späterer Zeit wieder lebhaft gepflegt wurde.
Unsere Hestia ist, wie von Aphrodite abgesehen alle Statuen
von Göttinnen, bekleidet. Es ist nötig die Gewandung
noch etwas näher zu betrachten. Bei beiden Geschlechtern