Volltext: Einführung in die antike Kunst ([Textband])

Kap 
Bis zur Besiegung der Perser. 
69 
Auffallend ist an dieser Gruppe die grofse Naturwahrheit 
in der Darstellung der athletischen Körper, die Bewegung 
und sorgfältige Durchbildung bei Muskeln und Sehnen. Nur 
eine Figur steht innerhalb all dieses Lebens wie tot da: die 
Göttin Athene. Vielleicht wollte der Künstler einen beruhigenden 
Mittelpunkt schaffen innerhalb des stürmenden, wogenden 
Kampfes; vielleicht war er von ängstlicher Scheu befangen, 
die Unnahbare, Übermenschliche inrein menschlichem Thun 
zu zeigen, und zog es vor sie darzustellen, wie sie in den 
Kultbildern der Tempel zu erscheinen pflegte. Auch noch an- 
dere Schranken halten den Künstler gefangen: die Köpfe sind, 
während die Körper so viel Leben zeigen, noch ebenso tot 
wie bei den früheren Statuen: bei den Kämpfenden wie bei 
den Gefallenen sind die Mundwinkel wie zum Lächeln empor- 
gezogen, das Kinn ist spitz und zu grofs, die Nase zu nahe 
über dem Mund, die Haare sind künstlich und sehr regel- 
mäfsig gekräuselt, und aufserdem erscheinen die Köpfe infolge 
der Haartracht verhältnismäfsig zu grofs, so dafs die an sich 
schlanken Körper zu klein zu sein scheinen. 
Beachtenswert ist aber bei der Anordnung der Gruppe 
die Benutzung des Raumes, dessen Schranken kaum bemerk- 
bar werden. Die Ecken sind mit Verwundeten gefüllt, welche 
liegen und mit sich und ihren Wunden beschäftigt, sich na- 
türlich vom Kampfe abwenden; die anderen aber streben nach 
der Mitte zu, die einen knieend, die folgenden stehend, und 
zeigen sich daher alle im Profil gegen einander gekehrt; in 
der Mitte aber steht hoch aufgerichtet und, um diesen Gegen- 
satz der Bewegung aufzulösen, mit dem Gesicht nach vorn 
gewandt die Göttin, zu deren Füfsen irach der einen Seite 
hingelehnt der Gefallene sich findet; ihm entspricht auf der 
anderen Seite der sich Vorbeugende. Der Schwerpunkt ist in 
die Mitte gelegt; die Anordnungder Gruppe ist dem Raum 
entsprechend pyramidal; das Gleichgewicht zwischen beiden 
Flügeln ist erreicht durch Anwendung des Prinzips des Gegen- 
satzes (s. S. 65) oder der Symmetrie, daS mit äufSCIStCI Strenge 
beobachtet ist, denn rechts und links entsprechen sich die Fi- 
guren genau; die Mitte wird gebildet durch eine einzige Fi- 
gur, die kein Gegenbild hat, durch ein WCSEII höherer Ord- 
nung, eine Göttin. 
Rückblick. Die bisher besprochenen Erzeugnisse der 
griechischen Kunst gehören der ersten Periode derselben an, 
die man bis etwa zur Mitte des fünften Jahrhunderts rechnet. 
Dargestellt werden die verschiedensten Gegenstände, Götter, 
Heroen, Menschen, aber auch Tiere, in Rundbildern und Re- 
liefs. Ursprünglich war Holzschnitzerei üblich, an die noch
	        
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