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Die
griechische Kunst.
Die Nase tritt stark vor, die Stirn weicht zurück, die Augen
liegen weit vorn. Das reiche Haar ist über der Stirn in
Wülste geordnet und fällt in breiter Masse perückenartig,
mehrfach horizontal geteilt, über den Nacken hinab, wie wohl
dereinst bei den nhaujntumlockten" Achäern. Wen soll diese
Statue vorstellen? Nicht ein einziges Abzeichen giebt uns
Antwort. Man glaubte lange einen Apollon in ihr erkennen
zu dürfen, den man zum Unterschiede von ähnlichen Statuen
nach dem Fundorte, wo man ihn X846 entdeckte, den von
Tenea nannte. Doch könnte sie auch das Bild eines Ver-
storbenen 22) sein, zumal sie auf einer antiken Grabstätte ge-
funden wurde. Dafs das Werk einer früheren Kunstepoche
angehört man setzt seine Entstehung in den Anfang des
sechsten jahrhunderts geht hervor aus dem gänzlichen
Mangel jeder Bewegung, aus der besprochenen Stellung der
Füfse, der ängstlich geschlossenen Haltung des ganzen Kör-
pers, besonders den enganliegenden Armen und jenem Lächeln,
welches den ersten Versuch erkennen läfst, ein gewisses in-
neres Seelenleben auszudrücken.
Grabstele des Aristion. Taf. 11, Fig. 4 stellt ein
Grabdenkmal (Stele) dar, das im jahre 1838 in der Nähe des
alten Brauron gefunden wurde und jetzt in dem National-
museum in Athen aufbewahrt wird. Griechische Grabmäler sind
entweder Hügel, Tymboi, oder Säulen, Kiones, oder Kapellen,
Naidia, oder aufrecht stehende Platten, 'l'rapezai 23), oder end-
lich pfeilerartige Steintafeln, Stelai. Die letzteren schliefsen
vielfach in Akroterien ab, wie Taf. 11, Fig. 5 eines dar-
stellt. Unser Bild zeigt eine Stele mit plastischem Schmucke,
wie er bei solchen Grabdenkmälern besonders vor und nach
dem fünften Jahrhundert v. Chr. beliebt war. Vom Hinter-
grunde der Marmortafel erhebt sich ein Bild in Flachrelief,
welches laut Inschrift einen alten Athener, namens Aristion,
im Profil darstellt, und zwar in der vollen Rüstung, wie sie
etwa die Hopliten zur Zeit der Schlacht bei Marathon ge-
tragen haben mögen. Ruhig, fast feierlich steht er da mit
rlurchgedrückten Knieen und mit beiden Füfsen fest auf den
Boden gestellt, wiewoh] der linke auch hier etwas vorgeschoben
ist. Die rechte Hand ist zwar auch noch geballt, aber der
sehr muskulöse Arm hängt in natürlicher Beugung an der
Seite herab, nicht mehr steif; die erhobene Linke fafst in na-
türlicher Weise die Lanze. An dem etwas vorgeneigten Kopfe
ist das Haupthaar sowie der keilförmige ljetzt an der Spitze
abgebrochene) Kinnbart in regelmäßige parallele Locken geteilt,
der Lippenbart ist fast nur angedeutet; der Mund ist etwas
eingezogen, das Auge tritt hervor, der Ausdruck des (Jesichtes