ZNVEITES
KAPITEL.
Die
griechische
Kunst
bis
Zllf
Besiegung
der
Perser.
Mit der sogenannten dorischen Wanderung hebt für
Griechenland eine Zeit des Umsturzes und der Neugestaltung
an, in der viele Keime früherer Kultur zu Boden getreten
werden. Stehen aber auch die Stännne, welche jetzt in den
Vordergrund treten, zunächst an Gesittung hinter den führenden
Völkern der früheren Zeit zurück, so sind sie doch um so reicher
geistig beanlagt, und nach Jahrhunderte langem Ringen, über
das die Geschichte wenig zu berichten weifs, tritt das
griechische Volk uns glänzend und schön, gleich einem Vogel
Phönix, entgegen. Und seine Erscheinung ist um so blen-
dender, je weniger Spuren seines allmählichen Werdens zu
entdecken sind.
Indem wir die wenigen Reste, welche auf ursprünglichen
Holzbau hinweisen, sowie die ersten, ebenfalls nur in spär-
lichen Trümmern erhaltenen Steinbauten übergehen, wenden
wir uns der ältesten Tempelruine zu, die so erhalten ist, dafs
sie eine klare Anschauung giebt: es ist die des Poseidon-
tempels zu Paestum in Unteritalien, der im fünften, viel-
leicht gar im sechsten Jahrhundert v. Chr. erbaut wurde.
Paestum oder Poseidonia, südlich von Salerno, war von der
in Unteritalien gelegenen griechischen Kolonie Sybaris aus
gegründet. Dafs gerade hier sich mehrere tempelartige Ge-
bäude bis auf die jetzige Zeit in leidlichem Zustande erhalten
haben, scheint von der Abgeschiedenheit und ungesunden
Lage des Ortes zu kommen, welche Räuber und Eroberer
wenig angelockt hat. Taf. 8, Fig. 8 zeigt uns von dem Po-
seidontempel die über Eck genOmmene Ansicht, die zugleich
die 24 m breite Vorderseite und die etwa 60 m lange Längsseite
erblicken läfst, und Fig. 9 den Grundrifs. Wir haben vor
uns ein Säulenhaus unter giebelförmigem Dache.
Auf einem drei Stufen hohen, horizontalen Unterbau erheben
sich vorn 6, an den Seiten I4 (die Ecksäulen werden beide
Male mitgezählt) etwa 9 rn__ hohe Säulen mit einem Durch-
messer von etwa 21,13 m. Uber diese ist das Steingebälk ge-
lagert, und zwar zunächst ein kräftiger Längsbalken, der
Arßhitfav, an dessen oberstem Rande sich wenige Verzierun-
gen befinden, die den Übergang zu einer zweiten Steinlage,
dem Fries, bilden. Dieser besteht abwechselnd aus glatten
Hatten, Metopen genannt, und etwas hervorspringenden