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Die Kunst
des Orients.
Über einigen Halbkreisen spriefsen Lotosstengel und -Blüten
hervor, welche den noch freien Raum füllen. Drei treppen-
artig übereinander vertretende Platten mit senkrechten Ein-
schnitten schliefsen das Kapitell nach oben ab. Die Säulen
sind teils wirklich als Stützen verwendet, teils dienen sie, wie
in Agypten, blofs zum Schmuck. Von sonstigen Zierraten
weisen einige, wie Sonnenscheibe und Sphinx auf Agypten,
andere auf Griechenland hin. Vom Gewölbebau sind nur
sehr dürftige Spuren erhalten, aber immerhin genug, um es
als zweifellos erscheinen zu lassen, dafs man diese Bauweise
gekannt hat.
Für das Studium der lahönikischen Plastik sind besonders
die zahlreichen Funde, welche man auf Cypern gemacht hat,
ausgiebig, während das Mutterland nur wenig bietet. Der
Künstler im syrischen Küstenlande hatte keinen geeigneten
Stein zur Verfügung, daher war er auf Thonbildnerei ange-
wiesen; und dafs er als Vorbild nicht die Natur, sondern die
Kunstwerke anderer Völker nimmt, daran ist wohl der Um-
stand mit schuld, dafs die landesübliche Tracht die Körper-
formen durchaus verhüllte. So finden wir in Phönikien erst
Nachahmung der Agypter, dann der Assyrer, endlich der
Griechen.
Solclf eine Nachbildung einer griechischen Vorlage ist die
Taf. 5, Fig. 9 mitgeteilte Thonügur. Es ist ein aufrecht
stehendes, bekleidetes Weib mit enganliegenden Armen, dessen
Höhe 23 cm beträgt. Der linke Fufs ist vor den rechten
gestellt, die Hände sind geschlossen. Der Kopf ist breit und
grofs, das Ohr tritt stark hervor; das (lichte, gescheitelte Haar
fällt teilweise in den Rücken, wo es in horizontale Streifen
geordnet ist, teils fällt es in vier grofsen, mehrfach gegliederten
Locken vorn über die Brust herab. Die Bekleidung besteht
aus einem Untergewand und einem purpurnen Mantel mit
grünen Streifen, der jenes überschneidet und vorn eine Anzahl
Falten bildet. An der linken Schulter wird er durch eine
Agraffe festgehalten.
Anders gestaltete sich der Einfiufs des Auslandes auf
Cypern. Mit Assyrien scheint dieses in unmittelbare Be-
rührung gar nicht gekommen zu sein. Es hat den assyrischen
Stil nur in phönikischen Nachahmungen kennen gelernt, die
dann in Cypern weiter umgebildet wurden. Dagegen steht
es in unmittelbaren Beziehungen zu Agypten, und zu einer
Zeit. als im eigentlichen Phönikien schon allgemein die
griechische Kunst mafsgebend war, um 600 v. Cl1r., ist auf
Cypern der Eintlufs ägyptischer Vorbilder unverkennbar, wenn
auch die Künstler immer eine gewisse Selbständigkeit he-