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Die chaldäisch-assyrische Kunst.
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immer und überall das Streben nach Beharrung gepflegt.
Hierzu kam noch etwas andres. Hatten die Ägypter auch
nicht gesetzlich die Kasteneinrichtung wie die Inder, so war
Sie doch thatsächlich wenigstens bei der arbeitenden Klasse
vorhanden. Jeder lernte die Beschäftigung seines Vaters, so
dal's die Erfahrung in der Familie forterbte; keiner pflegte
mehrere Künste zugleich zu betreiben. S0 zeigen die ägyp-
tischen Kunstwerke eine unbeschränkte Herrschaft über das
Material wie der Masse so der Härte nach; sie zeigen sicherste
Berechnung, aufserordentliche Geschicklichkeit, genaueste
Beobachtung der Natur; aber den freischaffenden, nach eige-
nen Gedanken gestaltenden Geist, wie ihn die ältesten Kunst-
werke offenbaren, liefsen die ägyptischen Satzungen aufser
in untergeordneten Dingen sich ebensowenig entfalten auf
-dem Gebiete der bildenden Künste, wie auf anderen Gebieten.
Die künstlerische Phantasie des regsamen Volkes, welche in
früher Zeit zum Schaffen drängte, erstarrte frühzeitig unter
dem beengenden Drucke eines festgeregelten Herkolnmens,
dessen Banne sich niemand zu entziehen Wufßtc-
KAPITEL.
ZWEITES
Die
chaldäisch-assyrische
Kunst.
Fast eben so früh wie die Nillandschaften, entwickelten
die Länder am Euphrat eine eigenartige Gesittung 4), deren
Mittelpunkt zunächst Babylon wurde. Aber von den Werken
der einst dort wohnenden Chaldäer ist wenig auf uns ge-
kommen; reichlicher sind die Überreste der später in den
Vordergrund tretenden Assyrer, welche in vielen Beziehungen
Erben der chaldäischen Gesittung waren.
Die Bauwerke der Chaldäer sind 111 WÜSIC Trümmer-
haufen zerfallen, denn das aus Mangel an gewachsenem Stein
verwendete Material, teils in der Luft getrocknete, teilS ge-
brannte Ziegeln, vermochte dem Einflusse der Jahrhunderte
nicht zu widerstehen. Von der PlaStik döfSölben haben wir
immerhin so viele Denkmäler, dafs wir verschiedene Entwicke-
lungsstufen ihrer Kunst unterscheiden können.
Relief aus Tello. Der erstengehört das Taf. 4, Fig. 1
abgebildete Werk an. Es ist mit vielen andern ausgegraben
zu Tello, dem alten Sirtella, das heutzutage rings von Wüste
umgeben ist. Es gehört zu einer Anzahl Trümmer, welche
von einem Denkmal in Form einer hohen Platte herrühren,