20
Die Kunst des Orients.
hat er den künstlichen, sogenannten Osirisbart. Die Hände
liegen auf den Schenkeln, die rechte geballt, die linke platt
ausgestreckt; die Füfse haben gleichmäfsige Haltung. Auf-
fallend ist der Thron. Füfse und Gestell desselben bilden
zwei eigentümlich behandelte Löwen, deren kleiner Kopf mit
einer Haube behängt ist; auf der hohen Lehne steht unmittel-
bar hinter dem Kopfe des Königs mit vorgestreckten Flügeln
ein Sperber, das Symbol des Horus. Zwischen den Füfsen des
Stuhles sind symmetrische Ptlanzenornamente angebracht.
Anderer Art ist der Taf. 3, Fig. 7 abgebildete Schreiber,
der in einer noch jetzt im Orient beliebten Haltung mit gekreuz-
ten Beinen dasitzt, eifrig seines Amtes wartend. Sein Hinter-
kopf ist rund, sein Gesicht mager und starkknochig. Voll
gespannter Aufmerksamkeit ist er dem zugewandt, dessen Worte
er nachschreibt. Seine klugen Augen funkeln im eigent-
lichen Sinne des Wortes, denn die eingesetzten Augensterne
bestehen aus geschliffenen Bergkrystallen. Die Schultern
sind hoch und eckig, die Brust ist breit. Die Haltung
seiner Arme entspricht in natürlicher Weise der ausgeübten
Thätigkeit. Die Oberarme sind an den Leib ziemlich ange-
schlossen; die linke Hand hält das Ende der nach rechts hin
geöffneten Papyrusrolle, in der Rechten sieht man die Rohrfeder
zum Schreiben bereit. Unterleib und Oberschenkel bedeckt
ein weifses Gewandstück, das sich von der braunroten Farbe
des Körpers stark abhebt. An den untergeschlagenen Füfsen
zeigt der grofse Raum neben der rechten grofsen Zehe, dal's
der Schreiber für gewöhnlich Sandalen zu tragen pflegte.
"Dieses Werk, sagt ein Kenner, ist in Bezug auf Naturwahr-
heit von den geschicktesten und begabtesten Porträtdarstellern
der Neuzeit nicht übertolfen worden."
Gleiches Lob verdienen die Tiergestalten, welche die
ägyptische Plastik hervorgebracht hat. So wird der Taf. 3,
Fig. 8 abgebildete Löwe gerühmt, der in stolzer Ruhe mit
vorgestreckten Vordertatzen und eingeringeltem Schweif hinge-
lagert ist. Er befindet sich jetzt am Fufse des Kapitols in
Rom. Noch mehr wird ein nach London gebrachter Löwe
wegen seiner Naturtreue gepriesen.
Rückblick. Aus dem Gesagten geht hervor, dal's, wenn
dem ägyptischen Künstler die Aufgabe gestellt war, was er in der
Natur beobachtet hatte, im Bilde wiederzugeben, er das recht wohl
vermochte. Wenn er es also, besonders bei Werken, die mit
der Architektur in Verbindung traten, nicht that, sondern von
eigenen Beobachtungen absehend nach mafsgebenden Vorbil-
dern (Schablonen) arbeitete, so war dies nicht Folge von per-
sönlicher Unfähigkeit, sondern von gesetzlicher Gebun-