224
III.
Die Kunst bei
den
Römern.
Stellung der Gestirne am Himmelsglobus zu lesen scheint.
In vollkommenem Gegensatz hierzu steht die andere Hälfte
des Bildes (Fig. 7 rechts). Das unlängst erst geschaffene
Menschenkind liegt tot am Boden; Eros steht trauernd neben
dem Leichnam und stützt auf ihn die umgestürzte Fackel, an
welcher der Schmetterling, die unsterbliche Seele, emporsteigt.
Hinter ihm steht das in Schleier gehüllte Schattenbild des Toten,
das Eidolon; denn nach dem Tode scheiden sich Eidolon und
Psyche 34). Dieses wendet der Belebung des Menschen mit so in-
niger Teilnahme das Haupt zu, als ob es vorauswisse, welch eine
kurze Spanne Zeit ihm zu leben bestimmt sei. Uber ihm fährt
Selene, die Göttin des Mondes, dahin, welche das Ende von
Tag und Leben andeutet. Zu Häupten aber des toten Knaben
sitzt eine kleine, langgelockte weibliche Figur, die dritte der
Moiren, Atropos 34). Sie hält eine halbgeölfnete Rolle in der
Hand, aus der sie das Schicksal verliest. Die trauernde Psyche
aber, welche daneben als geflügeltes Mädchen erscheint (rechts
oben), wird von Hermes, dem Psychopompos, nach der Unter-
welt geleitet. Zwischen dieser Scene und der umrahmenden
Prometheusscene sitzt auch hier die Tellus, deren Füllhorn
ein Knabe (rechts unten) unterstützt. Wir sehen, dafs die im
Christentum weiter ausgebildeten Ideen von Sündenschuld, Er-
lösung, Unsterblichkeit hier durch heidnische Symbole darge-
stellt sind. Sollten aber, wie man meint, die von uns noch
nicht erwähnten Figuren auf der linken Seite Adam und Eva,
die letzte Figur rechts den zum Himmel entrückten Elias be-
deuten, so würden wir die römische Kunst hier in innigster
Beziehung zu dem nahenden Mittelalter sehen, dessen Kunst
von christlichen Ideen beherrscht ist. Doch sollte es lange
währen, ehe diese neuen Keime sich zu einer Blüte entwickel-
ten. Die noch übrigen Zeiten des römischen Kaisertums zeigen
vielmehr ein allmähliches, greisenhaftes Dahin siechen der Kunst
wie der höheren Kultur überhaupt, wenngleich das Gebiet, wo
diese Kultur herrschte, sich mehr und mehr erweiterte. Es er-
geht der antiken Kunst wie einem mächtigen Flusse, der nach
langem, vielverschlungenem Laufe "in der Ebene anlangt, SiCh
weiter und weiter in trägem Laufe verbreitet, bis er endlich,
in viele Adern geteilt, kaum noch mühsam sich fortschleppt.
Rückblick. Blicken wir zurück auf die Leistungen der
Römer in der Kunst, so erfüllen uns ihre Schöpfungen auf
dem Gebiete derArchitektur mit höchster Bewunderung. Mag
den Griechen der Ruhm bleiben, dafs ihr Tempelhaus ge-
wissermafsen aus der Idee herausgewachsen ist, und also Form
und Inhalt die gröfste Übereinstimmung zeigen, so haben die
Römer das Verdienst, für die fortwährend neuen Bedürfnisse