Volltext: Einführung in die antike Kunst ([Textband])

eilt der Mutter, nachdem er weifs, dafs ihr sein Geheimnis 
entdeckt ist, mit ausgestreckten Armen entgegen; die Mutter 
umschlingt leidenschaftlich den verloren geglaubten Sohn, den 
kaum noch erhofften Rächer; dann folgt der erschütternden 
Bewegung die ruhige Freude. Diesen Zeitpunkt stellt unsere 
Gruppe dar. Der Sohn hat sich, wie der zurückgesetzte rechte 
Fufs andeutet, aus der Umarmung der Mutter gelöst, voll Ehr- 
furcht blickt er empor zu ihr, die mit inniger Liebe und 
freudiger Rührung, aber nicht ohne ernste Wehmut ihn noch 
an Arm und Schulter gefafst hält. Dafs die Römer die Be- 
deutung dieser Gruppe _leicht verstanden, läfst sich annehmen, 
weil die einst von Euripides behandelte Sage den Römern 
durch eine Tragödie des römischen Dichters Ennius,Kresphon1es, 
bekannt war. Der Jüngling trägt seinen Mantel so, dafs der gröfste 
Teil des Körpers unbedeckt bleibt: er ist nur wenig bekleidet, die 
Mutter in beabsichtigtem Gegensatze dazu sehr reich. Vielfaltig 
umschliefsen Gewand und Mantel in prächtigem Faltenwurf die 
Glieder und verhüllen Sie mehr, als wir es bei den Griechen 
gewöhnt sind. Das lange Kinn der Mutter erinnert an die 
archaische Kunst, die kurzen Locken aber haben wohl eine 
sachliche Bedeutung. Merope hat sich aus Trauer um den, 
wie sie glauben mufste, getöteten Sohn das Haar geschoren, 
wie es bei den Griechen Sitte war.  Als Urheber dieser 
Statue nennt sich Menelaos, der sich als Schüler des römi- 
schen Künstlers Stephanos bezeichnet. Wie weit die schöne, 
warm empfundene Gruppe Original ist, läfst sich nicht ent- 
scheiden 13). 
Farnesischer Herkules. (Taf. 27, Fig.  Die folgende 
Figur läfst auf den ersten Blick {an Keule und Löwenhaut 
erkennen, dafs sie Herkules darstellen soll. Gebeugt steht der 
Held da, wie er am Ende seiner Mühen angekommen ist; 
halt er doch in der auf den Rücken gestreckten Hand die 
(ergänzten) Hesperidenäpfel, den letzten Siegespreis, den er 
zu erringen hatte. Seine Haltung ist so, dafs sie ihm mög- 
lichst viel Ruhe gewährt: die Last des Körpers verteilt sich 
auf beide Beine und den linken Arm, dem die mit der Löwen- 
haut bedeckte Keule als Stütze dient; der rechte Arm lagert 
sich wie ruhebedürftig auf den Rücken. Aber es ist nicht die 
Ruhe der Erholung, welche mit dem frohen Bewufstsein voll- 
brachter T haten verbunden zu sein pflegt, sondern die Ruhe 
der Ermattung. Der Held, der so Grofses ausgeführt, steht 
CISChÖPff da, das Haupt ist gesenkt, das Auge haftet ernst 
auf dem Boden. So hat auch dieser Held den Anstrengungen 
fast erliegen müssen. Eben, indem der Künstler diesen ge- 
waltigen Körper, dessen mächtige Muskulatur stärker ausgear- 

	        
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