Kap. 3. Die Kunst unter Kaiser Augustus. 193
Rechenschaft geben zu können, inwiefern die Kunst seiner
Zeit von der früheren verschieden sei. Welcher Zeit gehört
nun die Entstehung unserer Statue an? Läfst sich erweisen
dafs diese Artemis, die I76O in Pompeji gefunden wurde, eir;
Kultbild war, so ist eine Zeitgrenze nach vorn nicht mir
Sicherheit anzugeben, denn wir wissen, dafs man fortwährend,
auch zur Zeit der höchst entwickelten Kunst, die Kultbilder
in altertümlichen Formen darzustellen liebte, damit sie das
Aussehen höheren Alters hatten, und so auf sie der Schein
gröfserer Heiligkeit fiele. Ist sie kein Kultbild, so wäre die
Entstehung in das Augusteische Zeitalter zu setzen, denn da-
mals wurde es Sitte, die Kunsterzeugnisse der verschiedensten
Zeitalter, besonders aber die Werke der ältesten Meister nach-
zuahmen. Man nennt solche Werke, deren es nicht wenige
giebt, wegen ihrer Ähnlichkeit mit den archaischen Statuen:
archaistische. Die Artemis ist noch besonders dadurch inter-
essant, dafs sich an ihr nicht geringe Spuren der Bemalung
erhalten haben, wenn auch die Farben stark verblichen sind,
Die Abbildung läfst hie und da erkennen, welche _Teile far-
big waren. Die Sandalen und ihre Riemen sowie die Ränder
des Unterkleides sind rot bemalt; das Oberkleid hat einen
breiteren Saum, der mit weifsen Palmetten verziert und mit
Gold eingefafst ist. Auch das Köcherband war rot, hatte aber
weifse Verzierungen. Das Haar ist vergoldet, um blond zu
erscheinen, eine Farbe, die man für besonders schön hielt,
Das kranzartige Diadem ist mit acht roten oder goldenen
Rosen verziert.
Gruppe des Menelaos. Tat". 27, Fig- 2 Stellt (lar, Wie
ein Jüngling sich in herzlichster Weise mit einer zwar älteren,
aber doch noch jugendlichen Frau begrüfst. Man hat die
Gruppe zu folgender Sage in Beziehung gesetzt: Merope, die
Königin von Messenien, wurde ihres Gemahles Kresphontes
und ihrer erwachsenen Söhne durch Polyphontes beraubt und
von dem Mörder gezwungen, sich ihm zu vermählen. Ihr
Söhnchen Aipytos gelingt es ihr zu retten; sie sendet ihn einen,
Gastfreund in Ätolien, damit er dort zum dereinstigen Rächer
seines Vaters aufgezogen werde. Wie er zum_ Jüngling heran-
gewachsen ist, kehrt er heim, und die verräterischen Absichten
des Polyphontes benutzend, der reichen Lohn für die Ermor-
diing des Aipytos versprochen hatte, stellt er sich selbst dem
König als dessen Mörder vor. Polyphontes wird getäuscht und
nimmt ihn gastlich auf. Auch das Mutterauge täuscht sich,
und Merope will den vermeintlichen Mörder ihres Sohnes im
Schlafe töten: da wird sie durch den alten Pädagogen verhin-
dert, der in dem Jüngling den Aipytos erkannt hat. Der Jüngling
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