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Bis
Griechentulns im
Aufgehen des
Römertunx.
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etwas hinaufgezogen ist. Das gescheitelte Haar fällt in an-
mutigen Wellen bis in die Stirn herein und zieht sich dann,
ein um den Kopf gelegtesHaarband fast verbergend, nach
dem Hinterkopfe, wo es kunstvoll verknotet ist. Dieses
Schönste Weib, das wohl je ein Künstler geschaffen hat, ist
in seiner Erscheinung so hehr und rein, dafs wir erkennen,
der Künstler hat eine von irdischen Schwächen freie, in
ruhiger Selbstgenügsamkeit anbetungswürdige Göttin gestalten
wollen.
Das folgende Bild (Taf. 23, Fig. 6 und 7) zeigt den be-
rühmten Apollon vom Belvedere, der seinen Namen führt
nach dem "Belvedere" heifsenden Raum des Vatikans zu
Rom, in dem er aufgestellt ist. Der vorgetretene, mit einer
Chlamys bekleidete Gott hält mit der linken Hand nach vorn
die auf unserer Abbildung zugefügte, fast allgemein als zuge-
hörig anerkannte 39) Ägis. Auch die Entstehung dieses Kunst-
werkes wird mit dem Zuge der Gallier nach dem Osten in
Zusammenhang gebracht. Als diese im Jahre 278 v. Chr.,
bevor sie nach Kleinasien übergingen, Griechenland heimsuch-
ten, unternahmen sie, wie vordem auch die Perser, einen
Plünderungszug gegen den reichen Tempel von Delphi. Die
Delphier waren entschlossen, mit Aufgebot aller ihrer Kräfte
ihr Heiligtum zu schützen, hielten es aber doch für geraten,
die Ternpelschätze zu flüchten. Da verbot dieses ein Orakel,
welches verkündete, der Gott selbst werde Sorge tragen und
die weifsen Jungfrauen. Und wirklich, als die {feindlichen
Haufen in dem schwer zugänglichen T hale aufwärts stiegen,
da entlud sich ein furchtbarer Gewittersturm mit Blitz, Donner,
Schnee und Hagel. Felsblöcke stürzten herab und entwurzel-
ten Bäurne, also dafs die Feinde, von panischem Schrecken
ergriffen, grofsenteils erlagen und nur wenige entkamen. Die
Delphier aber wufsten zu erzählen, dafs Apollon selbst durch
die Dachöffnung seines Tempels herabgekommen sei und die
Feinde bekämpft habe. Dieser Sieg rief S0 allgemeine Be-
geisterung in Griechenland hervor, dafs vollflen verschieden-
Sten Staaten Siegesweihgeschenke nach Delphl gestiftet Wurden,
Solch ein Weihgeschenk ist vielleicht auch das Original Zu
dem Apollon vom Belvedere. Der Künstler stellt hier den
Gott in dem Momente dar, wo er selbSt in den Kampf ein-
greift. Apollon hat vom Vater Zeus, wie es auch im fünf-
zehnten Buche der llias geschildert wird, die furchtbare Ägis
empfangen und eilt so nach dem Schlachtfelde. Der feind-
hchen Front gegenüber nimmt er Stellung, mit dem rechten
Fufse fest auftretend. Mit der linken Hand streckt er zunächst
dem äufsersten rechten Flügel die grausige, unheimlich wir-