Volltext: Einführung in die antike Kunst ([Textband])

Kap 
Bis zum Aufgehen 
Griechenturns 
des 
Römertum. 
im 
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Gegenwehr rnufs er aufgeben, er sinkt, eine Beute der furcht- 
barsten Schmerzen, auf den Altar zurück, und ein Schwerer 
Seufzer entringt sich seiner Brust. Und wie scharf haben die 
Künstler diesen Moment bestimmt! Der Bauch ist, wie es 
bei grofsern Schmerze stets unwillkürlich geschieht, eingezogen, 
die Brust hoch gehoben, der Mund halb geöffnet. So ist es, 
wenn der schwer seufzende Mensch eben Luft eingesogen hat 
Im nächsten Augenblick wird er die Luft als Seufzer aus- 
stofsen, schreien thut er nicht. Nicht also auf der Höhe des 
Kampfes sehen wir den Vater, denn er soll uns nicht mehr 
die Hoffnung erregen, als ob er dem Todesgeschick entgehen 
könnte. Die Höhe ist eben überschritten, noch aber ist der 
kräftige Körper des Vaters nicht erlegen. Besiegt ist er, aber 
noch nicht tot, doch der Todesschmerz durchkrampft seinen 
Leib, verzieht sein Gesicht. 
Drei rhodische Künstler sollen das Original") dieses 
Kunstwerkes, dessen Gegenstand aus Dichtungen den Be- 
schauern bekannt war, nach gemeinschaftlichem Plane ge- 
schaffen haben, Agesandros, Athenodoros und Polydoros. Mit 
welch hoher Weisheit wufsten sie einen an und für sich 
gräfslichen Vorgang so zu behandeln, dafs er nicht Abscheu, 
sondern innige Teilnahme erregt; wie kunstvoll ist die An- 
ordnung, nach der die Schlangenwindungen, ohne an Natür- 
lichkeit und Wirksamkeit etwas einzubüfsen, so geführt sind, 
dafs kein bedeutender Teil der Gruppe verdeckt ist; wie 
wirkungsvoll ist der Gegensatz zwischen dem äufserst ange- 
spannten Körper in der Mitte und den zwei ruhigeren jüng- 
lingsgestalten zu beiden Seiten; wie bewundernswert ist die 
Naturwahrheit, mit der die drei Menschen unter dem Einflüsse 
des äufseren Druckes zugleich und der inneren Empfindung 
dargestellt sind: je mehr man sich Rechenschaft zu geben 
sucht über die Beweggründe, von denen die Künstler sich 
leiten liefsen, um so mehr eröffnen sich nAbgründe künstleri- 
scher Weisheits. 
Der Farnesische Stier. (Taf. 23, Fig.1.)' auch das fol- 
gende Bild zeigt eine frei stehende Gruppe; sie 1st von noch 
gröfserem Umfange und so reich an Figuren, dafs es erst allmäh- 
lich gelingt, in das Verständnis einzudringen. Wir sehen einen 
wilden, auf den Hinterbeinen aufgenchteten Stier, gehalten 
von zwei kraftvollen Iünglingen; ein Weib, zwischen und unter 
den Vorderbeinen des Tieres, fleht den einen der Jünglinge 
um Erbarmen an, im Hintergrund steht ein zweites iWeib. 
Den Griechen war die Bedeutung dieser Gruppe sofort klar. 
Sie erinnerten sich bei ihrem_Anbl1ck, wie es "ja auch für 
Laokoon anzunehmen ist, an ein bekanntes Drama, und zwar 
Menge, Antike Kunst. 2. Aufl. 10
	        
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