Volltext: Einführung in die antike Kunst ([Textband])

Steingebilde noch jetzt ihre Gestalt erkennen kann. Die Gruppe 
ist in dem Moment dargestellt, wo das furchtbare Geschick 
plötzlich über die jugendlich blühende Schar hereinbricht. 
Die rächenden Götter, die mit dem Todesgeschofs Verderben 
senden, sind selbst nicht sichtbar, aber die aufwärts gerich- 
teten Blicke der Sterbenden und Fliehenden zeigen, wo die 
Gewaltigen stehen. Die Niobiden, ahnungslos von dem Un- 
glück ereilt, sind teils schon verwundet, teils suchen sie, die 
Schwere des göttlichen Zornes nicht kennend, vor dem Todes- 
pfeile sich zu schützen, alle aber streben, soweit sie noch 
können, der Mitte zu, wo die Mutter steht, in ihrem Schofs 
das jüngste Töchterlein vergeblich bergend. 
Die Gruppe ist zu umfangreich, als dafs wir alle Einzel- 
heiten genau in Betracht ziehen könnten; nur soweit müssen 
wir gehen, dal's die Beziehung der einzelnen Gestalten zu dem 
Hauptgedanken ersichtlich wird. Links der erste Sohn (Fig. 2a), 
der allerdings nur vermutungsweise zugesellt wurde, ist in den 
Rücken getroffen und in die Kniee gesunken. Während er 
mit der linken Hand nach der Wunde greift, hebt er die 
rechte wie abwehrend nach oben. Der nächste Sohn (Fig. 26) 
sucht sich {liebend zu retten; indem er mit vorgehaltener 
Linken, die den Mantel gefafst hält, dahinstürmt, ist sein Blick 
nach der Stelle gerichtet, von der er die Gefahr drohen sieht. 
Die beiden nächstfolgenden Figuren (Fig. 2c) sind nach Ca- 
novas trefflicher Vermutungßö) zu einer Gruppe vereinigt: 
ein noch unversehrter Niobide stöfst auf der Flucht auf 
eine seiner verwundeten Schwestern, die, indem ihr Gewand 
herabfällt, nStill wie eine geknickte Blumen dahinsinkt. Er 
fängt sie sanft mit dem linken Arme auf und hebt mit der 
Rechten sein Gewand hoch empor, um sie zu decken. Die 
nächste Gestalt (Fig. 2d) ist eine Tochter, die, mit der Rech- 
ten nach dem Gewande hinter die Schulter zurückgreifend, 
mit angstvoller Geberde den Blick nach der Mutter richtend, 
raschen Laufes zu dieser eilt. Ihrem stürmisch Hatternden 
Gewande glaubt man die Eile der Todesangst anzusehen. Die 
folgende Schwester (Fig. 2a), die der Mutter am nächsten 
Sieht, trägt schon die Todeswunde in sich; krampfhaft greift 
sie nach dem Nacken, wo der Pfeil sie getroffen, das Haupt 
sinkt rückwärts, schmerzlich seufzt sie auf, schon erschlaffen 
ihre Züge und Muskeln, im nächsten Augenblicke wird sie 
zusammenstürzen. 
Auf der anderen Seite liegt zu äufserst tödlich getroffen 
ein 501111 (Fig. 2!) hingestreckt; die Linke fafst unter der 
Brust nach der Stelle, wo er die Wunde empfangen, mit der 
Rechten sucht er im Sterben noch sich zu schirmen. Auch
	        
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